Radegunde von Thueringen
hatte die Todgeweihte auf den großen Altar gelegt. Alwalach trat vor sie und hob beide Arme, in denen er ein breites Schwert hielt. Die Trommeln schwiegen, die Menge hielt den Atem an. Die Stille schmerzte in den Ohren.
Mit einem gewaltigen Schwerthieb schlug Alwalach den Kopf des Mädchens ab. Ohne zu zögern, öffnete er den Brustkorb und riss mit bloßen Händen das Herz heraus. Er hielt es den tobenden Zuschauern entgegen und warf es dann in eines der Feuer.
„Wir werden siegen!“, sagte Germar und legte ihr den Arm um die Schulter. Die Umstehenden nahmen seinen Ruf auf.
„Siegen! Wir werden siegen!“, schallte es in die Nacht, die bereits langsam schwand.
Ein feiner Regen machte den schmalen Weg zur Burg hinauf schlüpfrig. Mit zitternden Knien kämpfte Radegunde sich bergauf, Kiara dicht auf den Fersen. Hinter ihnen brüllte die aufgeputschte Menschenmenge. Am Tor standen mehrere Krieger mit Schwert und Schild in Bereitschaft. Ihr Hauptmann hieß sie Platz machen und musterte Radegunde mit einem seltsam fragenden Blick.
Hufgetrappel näherte sich sehr schnell und eine kleine Gruppe Soldaten kam vor dem Tor zum Stehen. Die Männer fielen halb aus dem Sattel, ihre Kleider waren zerfetzt und blutig, ihre Schilde zerbeult. Triefnass hingen die Mähnen vor den Augen der erschöpften Pferde.
„Schnell, schließt die Tore! Die Sachsen sind im Anmarsch! Bei Sonnenaufgang werden sie hier sein!“, brachte ihr Anführer mit keuchendem Atem heraus.
Falls der Hauptmann der Wache erschrocken war, verbarg er es gut. Mit ruhiger Stimme befahl er seinen Leuten, die Menschen unten am Teich zu warnen.
„Woher kommt ihr?“, fragte er den Mann, der die Hiobsbotschaft überbracht hatte.
„Wir kämpften vor Runibergun, wir sollten die Franken eine Zeit lang aufhalten.“ Er lachte zynisch. „Nur Thor selbst kann diese Wechselbälger aufhalten!“
„Was ist mit den Fallgruben?“
„Pah! Kinderspielzeug! Nachdem ein paar von ihnen hineingestürzt waren, sind die anderen darum herumgeritten. Sie sind so zahlreich wie Ameisen in einem Bau!“
„Aber was erzählst du da von Sachsen?“, fiel Radegunde ihm ins Wort.
Der Mann schluckte. „Schlimmer kann es wohl nicht kommen. Während die Franken aus Richtung Sonnenuntergang näher rücken, reiten vom Norden her die Sachsen über die Berge. Wir haben es unterwegs von einer flüchtenden Köhlerfamilie erfahren. Es gibt im Harz keinen König mehr, der sie aufhalten könnte!“
„Informiert König Herminafrid, schnell!“ Sie spürte, wie ihre Knie erneut zu zittern anfingen. Hastig wandte sie sich ab und rannte in Richtung Königshaus. Sie sah nicht mehr, dass ihr Befehl vom Wachhabenden mit ratloser Miene ignoriert wurde.
Die Neuigkeit verbreitete sich schneller, als Radegunde laufen konnte. Der Hof erwachte aus dem Schlaf, hier und da hörte man verzweifelte Aufschreie.
Die Tür zur großen Halle stand weit auf. Sie stolperte atemlos hinein. Das Haus war leer.
Die Schlacht vor Skitingi, Herbst 531
Der kühle Herbstregen empfing den neuen Tag und verwandelte gemeinsam mit den vielen umherirrenden Menschenfüßen den Boden allmählich in Schlamm. Sie spürte nichts davon. Der Saum ihres Kleides hatte sich mit Schmutzwasser vollgesogen und zerrte an ihrem Gürtel, aus ihren zerzausten Haaren tropfte es in ihr Gesicht. Zum zweiten Male schon durchkämmte sie die Hütten und Lager der Burg.
„Bertafrid! Bertafrid, wo bist du?“, rief sie dabei unablässig. Ab und zu hörte sie aus einer anderen Richtung wie ein Echo die Stimme Kiaras, die ebenfalls nach dem Jungen suchte.
An der Ecke des Waffenlagers stolperte sie über einen umgestoßenen Kessel und stieß heftig mit einem Mann zusammen, der sie auffing, bevor sie in den Schlamm stürzte. Gorrick!
Angewidert schüttelte sie seine Hände ab, die wie große Spinnen über ihren Körper tasteten.
„Prinzessin! Wie seht Ihr aus! Kommt, Euer Bruder hat Euch vermisst!“ Sein Blick hielt dem ihren nicht stand.
„Bertafrid? Wo ist er?“
„Kommt!“ Gorrik brachte sie zu einer abseitsstehenden Hütte am Wall, sie war klein und bog sich unter der Last des verfaulenden Schilfes auf dem Dach.
Drinnen roch es nach Moder und Ziegenmist. Während ihre Augen sich noch an die Finsternis gewöhnten, fühlte sie sich plötzlich von zwei kleinen Armen umklammert.
„Gunde, ich habe gebetet, dass du noch hier bist!“ Bertafrids Gesicht war tränennass.
„Wie kommst du nur hierher? Und wo sind Amalaberga und die
Weitere Kostenlose Bücher