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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
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habe dich schon einmal gesehen!“
    „Das mag sein …“
    Die eingekesselte Menge schrie jetzt so laut, dass sie ihn nicht verstand. Das Entsetzen lag wie flüssiges Eisen in der Luft und ließ die Kuhhaut auf ihrem Rücken unerträglich schwer werden. Sie hob den Kopf und blickte über den First hinweg.
    „Schau nicht hin!“, hörte sie den Jungen sagen, doch es war zu spät. Das Grauen hatte begonnen und sie konnte den Blick nicht mehr abwenden.
    Die fränkischen Reiter hatten die Menschenmenge vollständig umzingelt und ritten im Kreis um sie herum. Die wenigen Männer drängten sich aneinander, in einem letzten Anflug von Verzweiflung hatten sie Frauen und Kinder in die Mitte genommen. Systematisch und offensichtlich mit Lust hieben die Reiter mit langen Schwertern in die Reihen der Außenstehenden hinein. Blut spritzte in Fontänen über Pferde und Menschen. Schreie gellten über den weiten Hof der Burg, vermischten sich mit den fremd klingenden Lauten der Krieger und dem Geprassel der Flammen. Wer Glück hatte unter den Getroffenen, war sofort tot. Die anderen starben unter den mächtigen Hufen der Rosse. Der Kreis um die Frauen wurde immer enger. Sie schrieen um Erbarmen, wenigstens für ihre Kinder.
    Ihre Hände krallten sich in das alte Schilfstroh des Dachfirstes, sie spürte nicht, wie die messerscharfen Halme ihr in die Fingerkuppen drangen. Sie hörte sich nicht schluchzen, sie hörte auch nicht, wie der Junge auf sie einredete. „Sieh nicht hin!“
    Sie hörte das Betteln der Frauen, die Schreie der Sterbenden, das Geräusch brechender Knochen unter Pferdehufen. Dann wurde es zu viel. Sie legte das Gesicht in das Schilf und atmete den Duft der Hirse, die unter ihr lagerte.
    Irgendwann herrschte Stille. Trügerisch, lauernd. Ab und zu schnaubte ein Pferd, drang ein kurzer fremdartiger Ruf durch die schwere Luft. Vorsichtig hob sie den Kopf. Auf dem Platz vor den Speichern stand niemand mehr. Eine kompakte Masse aus Menschenleibern bedeckte den schlammigen Boden, rote Rinnsale versickerten seitlich zwischen den Hütten. Ein widerwärtiger Geruch nach Blut und Exkrementen stieg ihr in die Nase. Die Reiter verstreuten sich über das Burggelände, stocherten hier und da in einem Holzhaufen und steckten die noch unversehrten Hütten in Brand.
    „Wir müssen hier weg, sie werden uns anzünden!“, flüsterte sie.
    „Nein. Die Getreidespeicher rühren sie nicht an.“ Die Stimme des Jungen zitterte, aber seine Worte klangen sicher.
    Zum ersten Mal betrachtete sie ihn aufmerksam. „Wo sind wir uns schon einmal begegnet? Ich glaube, es war in einer besseren Zeit.“
    „Jede Zeit war besser als diese! Du bist das Mädchen vom Königshof, nicht wahr? Deine Kratzer sind gut verheilt, wie es scheint. Keine Narben.“
    „Der Junge mit den unglücklichen Schweinen! Du hast mein Pferd kuriert!“
    „Nein, das war mein Vater …“ Er lauschte. Hufschläge näherten sich.
    „Duck dich!“
    „Wie heißt du überhaupt?“
    „Giso“, flüsterte er und legte den Finger auf die Lippen.
    Zwei Reiter machten vor der Hütte halt und diskutierten.
    Sie zitterte vor Angst und allmählich auch vor Schwäche. Das unbequeme Liegen auf dem steilen Dach zehrte an den Kräften.
    Einer der Männer sprang vom Pferd direkt auf das Podest vorm Speicher und stieß die Tür auf. Ihr Herzschlag setzte aus. Sicher würde er jetzt mit dem Speer in der Hirse herumstochern.
    „Wir müssen etwas tun!“, zischte sie verzweifelt.
    „Wen hast du da unten versteckt?“
    „Meinen Bruder und meine Sklavin.“
    Im gleichen Moment hörten sie Bertafrid aufheulen und Besa begann zu schimpfen: „Hau ab, du Bastard, lass ihn in Ruhe, hörst du? Thor schicke dich ins Reich der Toten!“
    Der Reiter rief aufgeregt nach seinem Kumpan, gleich darauf lachten sie schallend. Sie verstand nur „Zwerg“ und „Kind“.
    „Ich muss runter. Danke für deine Hilfe, Giso!“ Damit ließ sie den First los und rutschte vom Dach.
    „Warte, das schaffst du nicht allein!“ Er war schneller unten als sie.
    Sie schlichen zur Tür und spähten vorsichtig hinein. Bertafrid saß mit angstvoll aufgerissenen Augen in der hinteren Ecke. Besa stand hocherhobenen Hauptes zwischen den beiden Soldaten und versuchte vergeblich, sie mit grimmigen Blicken einzuschüchtern. Der etwas kleinere von beiden trug einen spitz zulaufenden Helm, der oben in einem dünnen Schwänzchen aus Pferdehaar endete. Der andere war barhäuptig und hatte sein rotes Haar zu einem Zopf

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