Radegunde von Thueringen
hin, sorgsam darauf bedacht, dass Bertafrid es nicht bemerkte.
Als sie auf der anderen Seite des Flusses die Uferböschung erklommen hatten, sahen sie das Lager der Franken. Bis zum Wald hinter den Wiesen standen kleine und große Zelte ohne erkennbare Ordnung, dazwischen brannten Kochfeuer. Frauen, Pferdeburschen und Fußknechte liefen geschäftig umher. Der Rothaarige führte die Gefangenen um eine Gruppe rot und gelb leuchtender Ahornbäume herum. Dahinter befand sich ein provisorisch eingezäuntes Stück Wiese, worauf einige Dutzend Menschen zusammengepfercht waren, vor allem Frauen und Kinder. Sie wurden von mehreren Soldaten bewacht und lagen oder saßen meist teilnahmslos im nassen, zertretenen Gras.
„Es gibt doch Gefangene!“, rief Besa und es klang fast erleichtert.
Zwischen dem Hauptmann der wachhabenden Krieger und dem Rothaarigen entspann sich ein heftiger Disput, in dessen Verlauf der Wachmann immer zorniger wurde, wiederholt den Kopf schüttelte und mit weit ausholenden Gesten zum anderen Ende des Lagers wies.
„Was ist los? Kannst du etwas verstehen?“, wandte Giso sich an Radegunde.
„Nicht alles, sie sprechen so furchtbar schnell. Ich glaube, sie wollen uns hier nicht haben, weil wir dem König gehören. Er sagt, er kann hier nicht für unsere Sicherheit garantieren.“
„Wie meint er das?“
Sie hob die Schultern.
Der Rothaarige musste sich schließlich fügen, wutschnaubend trieb er sein Pferd an. Der Strick straffte sich und zerrte schmerzhaft an den Handgelenken. Der Behelmte hinter ihnen fluchte vor sich hin.
„Sie befürchten, dass es keine Beute mehr für sie zu holen gibt, wenn sie uns nicht bald los sind. Ihre Kumpane sind dabei, die Burg auszuplündern“, erklärte sie.
Der Weg führte sie jetzt um das kleine Wäldchen herum, welches das Gefangenenlager von der Wiese abschirmte. Der summende Lärm des Heeres nahm deutlich ab, doch umso lauter und scheußlicher drang plötzlich das Schreien einer Frau an ihre Ohren. Unter einer mächtigen Birke unweit des Weges rissen mehrere Krieger einer sich heftig wehrenden Gefangenen die Kleider vom Leib.
„So tut doch etwas! Ihr verdammten Hurensöhne, helft ihr!“
Der Rothaarige knurrte etwas Unverständliches und lenkte das Pferd heftig zurück. Der Ruck, der durch den Strick ging, raubte ihnen das Gleichgewicht. Giso fiel auf die Knie und riss Bertafrid um. Radegunde fiel auf ihren Bruder. Einzig Besa konnte sich halten und half ihnen auf die Beine. Die Szene am Waldrand war noch nicht beendet.
Die Frau war jetzt nackt. Vergebens versuchte sie, ihre Blöße mit den Händen zu bedecken. Einer der Männer stieß sie ins Gras. Die anderen drückten ihre Arme auf dem Boden fest. Sie hob verzweifelt den Kopf und schrie etwas in einer fremden Sprache. Es hörte sich an wie ein Fluch. Einer der Krieger stopfte ihr sein Beinkleid in den Mund.
In die plötzliche Stille hinein flüsterte Besa: „Kiara!“
Radegunde hatte die Hunnenfrau im selben Moment erkannt, und es traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Ihre Knie gaben nach und sie sackte zusammen. Giso versuchte, sie aufzufangen, doch seine gebundenen Hände hinderten ihn. Bertafrid sah verstört auf seine Schwester hinab und begann zu schluchzen.
Besa schrie: „Schnell, unternehmt etwas, ihr Rohlinge!“
Der Rothaarige sprang erschrocken vom Pferd und durchtrennte Radegunde die Fesseln. Er hob sie zu seinem Kumpan in den Sattel, schnappte sich den heulenden Jungen und stieg auf seinen Hengst. Zögernd ritten die Männer weiter, ohne den Blick von der Szene am Wald zu wenden.
Sie erwachte mit dem Blick unter eine helle Stoffbahn, die von einem kleinen flackernden Flämmchen aus einer Öllampe beleuchtet wurde. Verwirrt lauschte sie auf die nächtlichen Geräusche, die von draußen hereindrangen. Betrunkene grölten, Frauen kreischten und jemand sang ein trauriges Lied, das sie noch nie gehört hatte. Weiter entfernt dröhnten Trommeln. Aus einer anderen Richtung des Lagers jammerten und stöhnten Verletzte oder Gefangene. Dicht vor dem Zelt unterhielten sich leise zwei Männer. Vorsichtig hob sie den Kopf und sah sich um. Sie lag auf einer groben Decke, neben ihr schlief Bertafrid. Gegenüber schnarchte Besa leise vor sich hin und neben dem Eingang erkannte sie Giso. Sie schloss erleichtert die Augen und kroch dichter an Bertafrid heran. Wenigstens waren sie zusammengeblieben.
Plötzlich fiel ihr Kiara ein. Das Entsetzen raubte ihr für einen Moment die Luft und sie
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