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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
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befürchtete sie, dass sie die heiligen Berge nie wieder sehen würde.

    Am Eingang zum Tal der Wipper, wo die Berge sich wie eine große Pforte öffnen, verließ Chlothar mit dem größten Teil seiner Soldaten den Tross, der von nun an unter dem Schutz einer kleineren Mannschaft weiterziehen würde. Chlothar blieb im Land, um den Aufbau der Wachstationen zu organisieren. Sein Heer, das ohne den Tross mit den Ochsenkarren wesentlich beweglicher war, wandte sich erneut in Richtung Süden.
    Kurz vor Sonnenuntergang brachte der Wächter ihnen den Korb mit Essen in das Zelt, den Giso stets ungeduldig erwartete. Radegunde betrachtete ihn dagegen mit einem schlechten Gewissen, denn er war immer gut gefüllt. Die Gefangenen draußen im Lager erhielten lediglich einfache Haferbrote oder Hirsebrei in groben Eimern, den sie mit den bloßen Händen essen mussten. Schon mehrmals hatte sie versucht, ihnen etwas zuzustecken, wenn sie in die Büsche ging, um sich zu erleichtern. Doch die Wachen am Sklavenpferch jagten sie jedes Mal davon.
    An diesem Abend kaute Giso sehr nachdenklich an einem Hühnerschenkel und beteiligte sich kaum an ihrer Unterhaltung.
    „Ich werde versuchen, zu fliehen!“, platzte er schließlich heraus und wischte sich die fettigen Finger am Gras auf dem Zeltboden sauber.
    Sie blickte erschrocken auf und sah nach Bertafrid, doch der hatte nur Augen für seinen Hirsebrei mit Nüssen und Honig.
    „Wie stellst du dir das vor?“, flüsterte Besa.
    „Ich werde auf einen geeigneten Moment warten und mich in die Büsche schlagen. Ich muss es tun, solange wir noch in Thüringen sind. Im Chattenland kann ich keine Hilfe erwarten.“
    „Sie werden dich finden und dir die Haut von den Knochen peitschen!“, stöhnte Radegunde.
    „Ich muss eben schlauer sein als sie. Jetzt, wo nur die Trossmannschaft bei uns ist, wird es leichter sein.“
    „Aber sie passen sehr genau auf!“, fiel sie ihm aufgeregt ins Wort. „Sie haften mit ihrem Leben für uns!“
    „Nicht so laut!“, ermahnte Besa und schob Bertafrid eine große gelbe Birne zu. „Ich finde die Idee nicht schlecht, Radegunde. Giso könnte deine Briefe an Amalafrid mitnehmen.“
    Der junge Mann nickte eifrig. „Ich würde natürlich versuchen, Amalafrid zu finden und ihm meine Dienste als Krieger anzubieten. Das ist immerhin besser, als einer ungewissen Zukunft im Frankenland entgegenzusehen.“
    „Wir könnten eine List anwenden!“ Besa rutschte begeistert an Giso und Radegunde heran. „Habt ihr schon vom ‚Schwarzen Tod‘ gehört?“
    Radegunde nickte und hob fragend die Schultern, Giso blickte verständnislos.
    „Du kriegst am ganzen Körper schwarze Beulen, hast Kopfschmerzen bis zum Wahnsinn und stirbst innerhalb zweier Tage, wenn dich nicht ein Wunder rettet. Diese furchtbare Seuche brachten die Hunnen mit aus dem Land, wo die Sonne aufgeht. Ich habe einmal ihren Ausbruch erlebt, die Menschen sterben wie die Fliegen.“ Besa schüttelte sich vor Widerwillen.
    „Und du? Wie hast du überlebt?“, fragte Radegunde gespannt, es kam nicht oft vor, dass Besa aus ihrem früheren Leben erzählte.
    „Mein Gebieter floh mit seiner Familie aufs Land, wo trotzdem noch zwei seiner Kinder starben. Ich hatte wohl Glück.“
    „Was hat das alles mit meiner Flucht zu tun?“, fragte Giso ungeduldig.
    „Die Krieger kennen die Seuche und sie fürchten sie natürlich. Wenn wir denen erzählen, du hättest diese Beulen, dann werden sie dich meiden und aus lauter Angst vor Ansteckung ausstoßen wie einen Aussätzigen. Du wärest frei!“ Besa grinste triumphierend.
    „Halt sie nicht für dumm! Sie werden Beweise haben wollen!“
    „Die kriegen sie!“
    Die halbe Nacht hindurch flüsterten die drei und heckten einen Plan aus, der mit etwas Glück funktionieren musste. Bertafrid schlief friedlich auf der Schütte, während Giso im Schein eines Kienspans Holundersaft aus den überreifen Beeren presste, die er vom Strauch hinter ihrem Zelt gepflückt hatte. In einer hölzernen Schale verrührte Besa die blauschwarze Flüssigkeit mit zu Staub zermahlener Erde.
    Als der Morgen graute, begann Giso auf seinem Lager zu stöhnen und zu wimmern. Es klang so echt, dass Radegunde Schauer über den Rücken liefen. Bertafrid setzte sich auf und sah sie fragend an.
    „Mach dir keine Sorgen, Kleiner, Giso ist nur ein bisschen krank.“ Radegunde drückte den Jungen zurück auf sein Fell. „Er hat heute Nacht zu viel Wein mit dem Wächter getrunken.“ Sie hoffte, der Junge

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