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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
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den Schreien der Ausgepeitschten.
    Doch darf ich nicht klagen, geht es mir und Bertafrid doch gut. Ich lerne sehr viel und begierig, denn ich will diese Welt verstehen, die mir so grausam erscheint. Ich möchte die Politik und die Rechtsprechung begreifen. Bischof Athalbert, mein Beichtvater, ist sehr gelehrt und weiß auf alle meine Fragen eine Antwort. Er unterweist mich in Latein und Religion. Stell dir vor, er behauptet, Jesus sei einmal ein Mensch gewesen! Wenn deine Mutter das hören könnte! Er konnte fast nicht glauben, dass ich bereits getauft bin.
    Ein Magister Winzus lehrt mich Geschichte der Franken und Mutter Sebila bringt mir Sticken und Haushaltsführung bei. Alle drei Themen sind freudlos, doch nachmittags diskutiere ich mit Bischof Athalbert über Politik und die Geschichte der Römer, die unglaublich interessant ist!
    König Chlothar habe ich nicht wiedergesehen, manche sagen, er steht im Krieg gegen die Westgoten, andere behaupten, er schlägt einen Aufstand nieder im eigenen Reich. Ich glaube, er ist – genau wie seine Brüder – ständig in irgendeinen Kampf verwickelt. Nur König Theuderich liegt krank danieder, es geht wohl um Leben und Tod.
    Ach Amalafrid, wie sehne ich mich nach dem Anblick der heiligen Berge und wie gern würde ich meine Füße in der munter plätschernden Unstrut baden! Ich weiß nicht einmal, wo du bist …
    In Liebe Radegunde
    „Radegunde, du sollst in den Stall kommen!“ Ein schmächtiges blondes Mädchen steckte den Kopf zur Tür herein. Sie trug lange dünne Zöpfe, die sie noch nicht unter einem Schleier verbergen musste. In ihren Augen lag ein wacher Ausdruck.
    Radegunde blickte unwillig auf. Sie saß am Tisch in der Schreibstube und schrieb an einem Text, der ihre volle Konzentration verlangte. Ärgerlich legte sie die Feder neben dem Tintenhorn ab.
    „Was gibt es so Wichtiges, Agnes? Ich muss diese Übersetzung aus dem Lateinischen fertigstellen. Magister Winzus wird mir sonst eine Strafarbeit aufbrummen.“
    „Da ist ein …“, Agnes senkte die Stimme und trat dicht an sie heran, „… ein junger Mann, der sagt, er müsse dich dringend sprechen!“
    „Wer sollte das sein? Kennst du ihn nicht?“, entgegnete sie verwundert.
    „Ich habe ihn noch nie gesehen. Er sagt, er kommt aus deiner Heimat. Sein Name ist …“
    Radegunde sprang auf und rannte nach draußen.
    Agnes sah ihr kopfschüttelnd nach. „… Giso“, beendete sie den Satz, doch es hörte ihr niemand mehr zu.
    Erst auf dem Hof bemerkte Radegunde, dass sie nicht wusste, welchen Stall das Mädchen gemeint hatte. Es gab mehr als eine Handvoll davon. Wo würde Giso sich verstecken? Natürlich bei den Schweinen! Oder bei den Pferden? Während sie noch überlegte, schob sich eine Kinderhand unter ihren Arm und zog sie in Richtung Tor.
    „Agnes! Wo ist …?“
    „Pssst! Wir sollten hier draußen nicht darüber reden. Mir scheint, er will nicht gesehen werden.“
    Nicht zum ersten Mal staunte sie über den wachen Verstand und die vernünftige Ruhe, mit denen die zehnjährige Agnes die Situation in die Hand nahm. Sie war ein adliges Waisenkind und wurde – wie Radegunde auch – hier an einer von König Chlothars Villen erzogen. Sie lachte selten, wusste scheinbar immer, was zu tun war, und jeder mochte sie gern. Sie kam ihr wirklich erwachsen vor, obwohl sie sechs Jahre jünger war.
    Agnes führte sie zum Gemüsegarten, vorbei an zwei Sklavinnen, die in der hohen Mittagssonne Bohnen ernteten. Die beiden Frauen nickten ehrfürchtig, während ihre Hände flink weiter pflückten. Sie liefen an Beeten mit duftenden Kräutern vorbei, an langen Reihen von mannshohen, gelbblühenden Pflanzen, doch Radegunde achtete nicht darauf.
    Am Ende des Gartens zog sich eine kleine Mauer hinüber zur Rückseite des Pferdestalls. Sie kletterten darüber hinweg und erreichten eine schmale Tür, die gewöhnlich nur die Pferdeknechte benutzten. Auf Holzgestellen trockneten frisch gescheuertes Zaumzeug, Seile und Lederriemen in der Sonne. Von einer kleinen Koppel hinter dem Stall blickte eine Stute neben ihrem halbwüchsigen Fohlen neugierig herüber. Stallburschen oder Pferdeknechte waren nirgends zu sehen.
    Agnes zog sie durch die Tür und Radegunde blinzelte im Halbdunkel. Es duftete nach frischem Stroh und Hafer. Irgendwo schnaubte ein Pferd und eine ruhige Männerstimme redete leise auf jemanden ein. Das Mädchen ging voraus zur hinteren Ecke, wo neben der Futterkammer die Schlafstelle der Knechte lag. Eine falbe

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