Radegunde von Thueringen
gnade uns Gott im Himmel.“
„Aber er wird es nie erfahren! Ihr wart immer gut zu uns, so können wir uns erkenntlich zeigen. Kein Wort wird die Prinzessin jemals erzählen, dafür garantiere ich!“
„Los!“, der kleine Soldat stieß dem älteren in die Rippen. Seine Warze zitterte auf der Nase. „Sag ja, es geht doch ganz schnell. Sie werfen den Toten außerhalb des Lagers in die Büsche und sind schneller wieder da, als du dein Wasser abschlagen kannst. Wenn wir nachher losziehen, ist alles vergessen.“
„Was sagen wir dem König, wenn er nach dem Servus des Prinzen fragt?“
„Meine Güte, du bist umständlicher als meine Therbalda daheim. Wir sagen, er ist gestorben. Jeden Tag sterben Gefangene in diesem Tross! Außerdem wird es Monate dauern, bis Chlothar heimkommt. Bis dahin kann er sich an den Jungen nicht mehr erinnern.“
Besa sah sich besorgt um. Das Lager erwachte allmählich zum Leben, es würde immer schwieriger werden, möglichst unbeachtet herauszukommen.
Schließlich seufzte der alte Wachsoldat schwer. „Also gut. Aber beeilt euch! Und zieht euch etwas über, damit niemand die Prinzessin erkennt.“
Radegunde hatte sich einen einfachen Umhang mit Kapuze übergeworfen. Giso war in eine Decke gewickelt und hatte Radegundes Briefe unter dem Hemd. Etwas Proviant hing in einem Beutel an seiner Seite. Eine warme Schaffellweste mit eingenähten Taschen verbarg die kostbare Fibel, die Radegunde ihm als Erkennungszeichen für Amalafrid anvertraut hatte. So schleifte Radegunde den eingeschlagenen Körper aus dem Zelt, nachdem sie Bertafrid erklärt hatte, dass er kurz allein im Zelt sein würde. Sie hoffte, der Junge würde nicht wieder in Tränen ausbrechen, doch er schien zu begreifen, dass seine Mitarbeit sehr wichtig war. Besa trippelte hinterher, das Ende des Leichentuchs in der Hand.
Die beiden Wachmänner blieben mit gemischten Gefühlen am Zelt zurück.
Der Weg aus dem Lager war nicht lang, sie trafen niemanden außer einigen streunenden Hunden. Das nasse Gras erleichterte den ungewöhnlichen Transport. Bald erreichten sie dichtes Gestrüpp, das am allmählich ansteigenden Hang in dichten Wald überging. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass sie vom Lager aus nicht mehr zu sehen waren, kletterte Giso schnaubend aus dem nassen Tuch.
Die dunkelblauen Flecken in seinem Gesicht waren verschmiert und hatten deutliche Spuren auf seinem „Leichentuch“ hinterlassen.
„Wir müssen dich säubern, sonst rennen die Bauern vor dir weg, wenn du in den Dörfern auftauchst.“ Besa schrubbte mit dem Tuch auf seiner Haut herum.
„Lass das“, wehrte Giso ab, „das mach ich am nächsten Bach allein. Seht zu, dass ihr zurückkehrt, bevor jemand auf die Idee kommt, uns zu folgen!“
Seufzend umarmte Radegunde den Jungen. „Finde Amalafrid, mein Freund. Ich setze meine ganze Hoffnung in dich!“
Unter den Schmutzspuren war Gisos Gesicht gefärbt wie ein reifer Apfel. „Ich verspreche es! Viel Glück für euch!“ Hastig wandte er sich ab und verschwand im Gebüsch.
Unbehelligt gelangten die beiden Frauen zurück zu ihrem Zelt. Bertafrid saß aufrecht auf seinem Lager und sah ihnen mit großen Augen entgegen. Auf seinen Unterarmen prangten große blauschwarze Flecken. Radegunde erschrak zu Tode, bis sie das Büschel Rosshaar in seiner Hand entdeckte. Er hatte wohl doch mehr verstanden, als sie geahnt hatten. Er sagte noch immer kein Wort, als Besa hastig die Flecken abwusch und die Holzschüssel mit der restlichen Farbe in einer Ecke des Zeltes vergrub. Doch Radegunde sah in seinen Augen einen Ausdruck, der ihr Sorgen bereitete. Hastig zog sie ihn an sich und wiegte ihn sacht in ihren Armen.
„Es wird alles gut, kleiner Bruder, du wirst sehen! Es wird alles gut!“ Ihre zitternde Stimme strafte sie Lügen.
Athies im Jahr 534, Wirtschaftshof des Königs Chlothar
Mein liebster Amalafrid,
nie gebe ich die Hoffnung auf, dass ich meine Briefe eines Tages zu dir senden kann. Was wäre ich ohne diesen geheimen Glauben? Fast scheint es mir, als sei er mir an deiner statt lieb geworden. Die Jahre vergehen wie Monde, ohne dass ich von dir höre. Nicht einmal der Schweinehirt hielt sein Wort. So sinkt mein Mut ins Bodenlose.
Dazu bedrückt mich das Schicksal der vielen Gefangenen, die vor meinen Augen verkauft wurden wie Schafe auf dem Markt. Meine Landsleute gelten hier noch weniger als Tiere. Unsere Sprache, einst liebliche Musik in meinen Ohren, höre ich nur ängstlich geflüstert oder in
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