Radegunde von Thueringen
sich der König tatsächlich am Hofe des Rodefrid jenseits des Albus aufhält. Dort kommt nicht einmal eine Maus ohne Irings Erlaubnis hin.“
„Was ist mit meinen Briefen?“
Das war die Frage, die Giso gefürchtet hatte. Er starrte eine Weile zu Boden. Draußen scharrte die Stute im Stroh. „Es tut mir leid, Prinzessin. Obwohl ich fast einen Mond dort im Lager zubrachte, konnte ich keinen Kontakt zu Amalafrid finden. Ich weiß nicht einmal, ob er ebenfalls in Rodeleben war.“
Sie schwieg. Er hatte die Briefe nicht bekommen. Ihre Hände strichen ihr Gewand glatt, wieder und wieder.
„Wie bist du jetzt hergekommen?“, brach Besa das Schweigen.
„Warte, meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich blieb in Irings Diensten als Pferdeknecht. Ich hoffte, irgendwann einmal Herminafrid oder seinem Sohn zu begegnen. Doch ich wartete vergeblich. Dann brachten sie einen Boten der Franken ins Lager. Ich war zufällig in der Nähe und stellte fest, dass Iring ihn kaum verstand. Der Bote sprach den gleichen Dialekt wie unser Wachmann Wisbert. Erinnert ihr euch an dessen Kauderwelsch? Ich bot mich an als Übersetzer. So erfuhr ich, dass König Theuderich dem König der Thüringer ein Angebot unterbreiten wollte.“
Radegunde atmete heftig ein. „Was für ein Angebot?“
„Herminafrid wird die Regierungsgewalt über einen großen Teil Thüringens versprochen, natürlich unter der Oberherrschaft der Franken. Dafür soll er nach Zülpich kommen, wo ein Vertrag aufgesetzt und unterzeichnet werden soll.“
„Sie wollen ihn hervorlocken. Wenn er hingeht, werden sie ihn töten“, kommentierte Besa trocken.
„Aber Theuderich bietet ihm einen Teil der Regierung! Sicher hat er begriffen, dass niemand Thüringen so gut beherrscht, wie der rechtmäßige König selbst. Sie brauchen dann keine Wachstationen mehr. Wisst ihr denn nicht, wie viele Soldaten diese Stationen binden? Sie brauchen jeden Krieger in ihren Kämpfen gegen die Goten und die Burgunder.“ Radegundes Gesicht färbte sich vor Aufregung rot.
„Es ist eine Falle, das wirst du sehen!“ Besa blieb bei ihrer Meinung.
„Was wird euer König tun?“, fragte Agnes gespannt.
„Er ist bereits aufgebrochen. Ich gehöre zur Vorhut, die nach Zülpich unterwegs ist. Iring hat mir gestattet, die Truppe zu verlassen und zu Euch zu reiten, um Euch Nachricht zu geben.“
Radegunde sprang auf. „Sie sind unterwegs? Jesus, wie weit ist es bis Zülpich?“
Giso sah sie erschrocken an. „Nein, Prinzessin! Ich bitte Euch, hört mir zu!“ Er kam auf die Beine und zog sie zurück auf die Haferkiste. „Bertafrid und Ihr, Ihr seid hier in Sicherheit. Wenn es sich tatsächlich um eine Falle handelt, dann müsste Theuderich Euch ebenfalls töten. Ihr wäret dann unliebsame Zeugen.“
„Aber ich muss Amalafrid wiedersehen!“ Ihre Stimme zitterte.
„Amalafrid ist nicht im Zug Herminafrids. Der König hat niemanden aus seiner Familie mitgenommen. Sie bleiben im sicheren Exil jenseits des Albus, aus demselben Grund, aus dem auch Ihr hierbleiben müsst!“
„Weißt du noch, was Germar dir sagte, am Tag vor der Schlacht?“, redete nun auch Besa auf sie ein.
„Mit der Königsfamilie stirbt auch das Reich.“
„Eben. Außerdem kommen wir hier sowieso nicht raus. Niemand gelangt an Hauptmann Sigimer vorbei, es sei denn er ist tot. Ich glaube, hier hilft nicht mal eine ordentliche Beulenpest.“ Besa und Giso brachen in Gelächter aus. Agnes sah verständnislos von einem zum anderen.
Giso hob die Hand. „Ich bin an ihm vorbeigekommen!“ Er grinste auf seine unnachahmliche Art. „Und ich muss es noch einmal schaffen. Die Sklaven werden mir helfen.“
Ein langgezogener Pfiff aus dem Gemüsegarten ließ ihn zusammenfahren.
„Ich muss los.“ Er griff in seine Westentasche und zog ein gut verschnürtes Päckchen heraus. „Es tut mir wirklich leid, dass ich mein Versprechen nicht halten konnte.“
Sie löste die Schnüre und fand ihre Briefe an Amalafrid. Obenauf lag die Fibel. Sie betrachtete das Schmuckstück und spürte einen Stich im Herzen. Es schien ihr, als schimmerten die blutroten Almandine dunkler als früher, so, als wären sie gereift unter all dem Leid, dessen Zeuge sie geworden waren. Und jetzt, wo sie sein Geschenk wieder in den Händen hielt, kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass sie Amalafrid vielleicht nie wiedersehen würde. Die wertvollen Steine verschwammen vor ihren Augen und sie wandte sich hastig ab.
„Schnell, wechsle noch die
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