Radegunde von Thueringen
Stück Keule und legte es achtlos vor sich auf den Tisch.
Radegunde fasste nach Agnes’ Hand. „Was geschah dann?“
„Jemand muss sie verraten haben, Chlothar wollte aus ihr herausprügeln, wo Chlodowald sich versteckt hält.“
Besa nickte. „Den Rest können wir uns denken!“, knurrte sie mit einem Seitenblick auf Bertafrid.
In Radegundes Kopf stapelten sich die Fragen, doch sie musste Besa Recht geben, Bertafrid hatte genug gehört.
Der Junge war jedoch anderer Meinung. Er rückte auf der Holzbank näher an den Bischof heran. „War vor zehn Jahren auch schon Krieg gegen die Burgunder?“
Athalbert nickte lächelnd. „Du musst wissen, die Frankenkönige führen so lange Krieg gegen ein Volk, bis sie es unterworfen haben. Die Burgunder sind zäh, sie wehren sich verbissen. Doch es ist alles nur eine Frage der Zeit.“
„Wir Thüringer haben es ihnen einfach gemacht, nicht wahr?“, fragte der Junge.
Sie spürte schon eine geraume Weile eine innere Unruhe, wenn Bertafrid sprach. Irgendetwas hatte sich verändert, und plötzlich wusste sie auch, was es war. Sie stieß Besa an. „Bertafrid!“, flüsterte sie. „Er stottert nicht mehr!“
Besa hob ratlos die Schultern.
Inzwischen formulierte der Bischof, den der schlagfertige Junge immer mehr in Erstaunen versetzte, vorsichtig seine Antwort: „Gewissermaßen schon. Das Zerwürfnis zwischen euren Königen war euer Verhängnis. Wären sie sich einig gewesen, wer weiß …“
„Außerdem haben die Langobarden uns verraten!“, gab Radegunde zu bedenken.
„Nun, Verrat und gebrochene Verträge gab es bei anderen Völkern auch. Denkt nur an den Westgotenkönig Amalarich, der die Schwester unserer Könige, Prinzessin Chlothilde, ehelichte und sich damit vor dem Einfall der Franken sicher wähnte.“
„Wurde er überfallen?“
„Ja, als König Childebert erfuhr, dass Amalarich seine Frau schlecht behandelt, marschierte er mit seinem Heer ein und trieb den König bis nach Barcelona, wo er schließlich getötet wurde.“
„Wann war das?“, fragte Radegunde. Amalarich war Amalabergas Bruder, oft genug hatte ihre Tante mit stolzen Worten von seinem Mut und seinem Kampfgeist erzählt.
Bischof Athalbert dachte nach. „Es war im Herbst, wartet … Ja, der Herbst, in dem auch Thüringen fiel. Chlothar und Theuderich standen im Osten, während Childebert nach Spanien zog.“
„Was für Könige!“, murmelte sie. „Statt ihr Land zu regieren, tragen sie Leid und Elend hinaus in die Welt. Warum muss es immer mehr Land sein, wozu brauchen sie noch mehr Städte, noch mehr Villen, noch mehr Sklaven? Haben sie denn nie genug?“
Sie wurde lauter mit jedem Satz und der Bischof hob mahnend die Hand an die Lippen. „Hütet Eure Zunge, Prinzessin! Hier haben die Tische und Bänke Ohren. Manch einer wartet nur darauf, sich beim König Liebkind machen zu können. Ihr seid schneller verraten, als ich diesen Knochen abnagen kann.“ Er schwenkte sein Keulenstück durch die Luft.
Sebila stand plötzlich hinter ihnen. „Ihr solltet nicht so viel reden, sonst geht ihr hungrig zu Bett!“
Bertafrid stotterte auch in den nächsten Tagen nur noch selten. Stattdessen bettelte er darum, an dem Unterricht der Mädchen teilnehmen zu dürfen. Widerwillig gab Sebila schließlich nach. „Dann machst du wenigstens keinen anderen Blödsinn!“, knurrte sie vor sich hin.
Begierig lauschte der Junge den Erzählungen des Bischofs Athalbert von der Niederschlagung der Römer durch den großen Frankenkönig Chlodwig. Mit offenem Mund verfolgte er die Geschichte von Chlodwigs Großvater, der von einem Meerungeheuer gezeugt worden war. Mit gefurchter Stirn kratzte er seine ersten Buchstaben aufs Pergament, und während die beiden Mädchen mit Sebila Decken und Wandteppiche bestickten, ließ er sich von Magister Winzus in die einfachen Rechenkünste einweihen. Radegunde beobachtete den ungewohnten Übereifer ihres Bruders zunächst argwöhnisch, fand aber schließlich Gefallen daran. Seine Gegenwart lockerte die tristen Unterrichtsstunden auf.
Besa, die früher auf Bertafrid aufzupassen hatte und nun ohne Beschäftigung war, schlich missgelaunt durch die Wirtschaftsgebäude, bis Sebila ihr die Aufsicht über die Gänseküken übertrug.
Zunächst glaubte Besa, diese neue Arbeit sei weit unter ihrer Würde, doch allmählich fand sie Spaß an den flauschigen gelben Tierchen, die ihr überallhin folgten. Hinter vorgehaltener Hand feixten die Stallknechte, dass niemand den Küken
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