Radegunde von Thueringen
einem Zopf gebunden, einzelne Strähnen hatten sich gelöst und hingen wirr über der Schulter. Ein voller Bart verbarg seine Lippen, die sich gerade zu einem zynischen Lächeln verzogen. Seine hellen Augen wurden schmal.
„Sieh an, die Zwergin Radegundes. Was hast du hier draußen verloren, solltest du nicht bei deiner Herrin sein?“
„Sie braucht mich tagsüber nicht, Herr. Sie sitzt bei ihren Lehrern und studiert komplizierte Dinge.“
„So, so. Hoffentlich wird sie mir nicht zu schlau, die kleine Prinzessin. Ich mag meine Frauen lieber ein bisschen naiv.“
Die Männer lachten, saßen ab und tränkten die Gäule am Bach.
Besa trieb still ihre Gänse zusammen und machte sich auf den Heimweg. Obwohl die Sonne noch nicht im Zenit stand, wollte sie schleunigst zurück. Kurz darauf galoppierten die Männer auf dem breiten Fahrweg an ihr vorbei. Besa ermahnte sich zur Eile, doch der Weg war weit und der verletzte Ganter wog schwer auf ihrem Arm.
„Meine Frauen …“, hatte Chlothar gesagt. Die Köchin am Hof hatte ihr erzählt, dass der König mit seinen ersten beiden Frauen, die zudem Zwillingsschwestern waren, gleichzeitig verheiratet gewesen war. Und Königin Guntheuka, die immerhin schon seine vierte Ehefrau war, musste stets jüngere Geliebte neben sich ertragen.
Sie hatte immer gewusst, was Chlothar mit Radegunde vorhatte. Sie knurrte vor Wut und die Gänse blieben irritiert stehen. „Lauft, meine Schönen. Lauft!“
Als sie außer Atem beim Hof anlangte, standen die fremden Pferde bereits abgezäumt und friedlich grasend auf der Koppel. Knechte und Mägde arbeiteten mit gesenkten Köpfen.
„Der König ist angekommen!“, raunte ihr die Milchmagd zu, als sie auf das Gänsegatter zulief.
„Ja, ja, ich weiß. Kannst du dich um den Ganter kümmern? Er ist verletzt. Ich will nach Radegunde sehen.“
Die Magd schüttelte den Kopf. „Da kommst du zu spät. Sie sind alle im Saal. Es gibt ein reiches Mahl, Gesinde ist nicht erwünscht. Wir dürfen nachher beim Aufräumen die Reste vertilgen.“
Besa seufzte.
„Sei nicht traurig“, tröstete sie die Magd, „es bleibt immer genug übrig.“
Die Zwergin schüttelte den Kopf. „Ich sorge mich um meine Herrin.“
Die Magd sah sie mitleidig an. „Aber du kannst ihr ohnehin nicht helfen. Er wird dich mit einer Hand hinwegfegen, wenn du ihm im Wege stehst.“
Dann fügte sie hinzu: „Zum Glück für uns ist er die meiste Zeit unterwegs. Die wenigen Tage, an denen er hier ist, überstehen wir irgendwie. Und jetzt lass uns nach deinem Unglücksvogel sehen.“
Besa nickte. „Ich glaube, er wacht auf.“
„Mir scheint, er wollte sich den langen Heimweg ersparen.“
Sie lachten verhalten und setzten den Ganter vorsichtig zwischen die anderen Gänse.
Im Haupthaus schleppten die Küchenmägde große Körbe mit Früchten zur Tafel, die das üppige Essen abrunden sollten. Neben Äpfeln und Birnen lagen duftende Pfirsiche, Datteln und Feigen, in kleineren Schalen lockten Mandeln, Haselnüsse und Pistazien.
Chlothar thronte an der Stirnseite, auf dem Platz, der sonst dem Hauptmann zustand. Sein Haar war jetzt ordentlich gekämmt, es fiel ihm weich über die Schultern und wurde von einem silbernen Stirnreif gehalten. Auf der Brust schmückte eine feine Stickerei sein hellbraunes Gewand. Den blauen Mantel mit den aufgestickten Bienen hatte er achtlos über die Stuhllehne geworfen. Um seine muskulösen Oberarme spannten sich breite Silberspangen.
„Mein werter Bruder Childebert hat es gewagt, Theudebert zu adoptieren! Er ist und bleibt ein feiger Hund!“ Chlothar spuckte die Kerne einer Birne hinter sich ins Bodenstroh. „Immer wenn ihm der Arsch heiß wird, kriecht er zu Kreuze!“
„Genau aus diesem Grunde braucht Ihr ihn nicht zu fürchten, Herr!“ Hauptmann Sigimer zu seiner Rechten hob beschwörend die Hände.
Links neben dem König saß sein Sohn Chramn. Er aß gierig und sprach mit vollem Mund: „Wir fürchten sowieso nichts und niemanden, Hauptmann!“ Mit einer schnellen Bewegung seines Messers spießte er direkt vor Sigimers Nase einen Apfel auf und biss grinsend hinein.
Sigimer schwieg pikiert.
Chlothars Gesicht färbte sich rot wie die Äpfel vor ihm im Korb. „Ich habe keine Angst vor Childebert, verdammt! Den erwürge ich mit einer Hand, wenn er mir in die Finger kommt.“ Ein Fausthieb auf den Tisch bekräftigte seine Worte. „Wir hatten klar vereinbart, gemeinsam gegen Theudebert vorzugehen. Doch kaum schlägt der erste
Weitere Kostenlose Bücher