Radegunde von Thueringen
das Watscheln besser beibringen könne als die Zwergin. Doch wenn Besa mit der Gerte in der Hand vorbeiwackelte, setzten sie ernste Mienen auf, denn niemand wollte es sich mit ihr verderben. Seit sie auf dem Hof war, hielt sich hartnäckig das Gerücht, sie verfüge über Zauberkräfte und habe das aus Thüringen heimkehrende Heer vor dem schwarzen Tod bewahrt.
An diesem späten Nachmittag führte Besa ihre schnatternden Schützlinge gerade von der Weide durch das Tor in Richtung Gänsepferch, als ein Bote auf schaumbedecktem Pferd eintraf. Die Wachen traten ihm entgegen und Besa konnte noch aufschnappen, dass der Mann aus Zülpich kam.
Eilig trieb sie die Küken hinter das Gatter aus geflochtenen Zweigen und band sorgfältig die Tür zu. Dann hastete sie ins Haupthaus. Der Reiter saß am Tisch und trank in langen Zügen Wassermet direkt aus dem Krug. Ein langes Schwert an seiner Seite, die Franziska und ein zweischneidiges Messer am Gürtel waren mit Straßenstaub überzogen. Bertafrid und der etwas jüngere Sigibald trieben sich am Kamin umher und musterten die Waffen des Kriegers neugierig.
„Hol deine Schwester, Bertafrid!“, flüsterte Besa dem Jungen ins Ohr.
„Ich weiß nicht, wo sie ist!“, maulte Bertafrid, ohne den Boten aus den Augen zu lassen.
„Dann such sie!“, zischte Besa. „Was glaubst du, wird sie sagen, wenn sie das hier verpasst?“
Widerwillig rannte Bertafrid davon.
Besa fand ein Leinentuch auf der Bank und begann, die Tische abzuwischen. Der Bote beobachtete über den Rand seines Kruges hinweg interessiert, wie sie sich vergeblich reckte, um zur Mitte der Tischplatte zu gelangen.
„Gibt es bei euch keine größeren Mägde für diese Arbeit?“, fragte er amüsiert.
„Ich bin zwar klein, aber ich arbeite gründlich!“, konterte die Zwergin und beförderte mit einer schwungvollen Bewegung des Tuches einige Brotkrumen in das Bodenstroh.
Die Tür öffnete sich krachend, und Hauptmann Sigibert trat ein, gefolgt von einem schmuddeligen Mönch, der eine Rolle Pergament sowie Tinte und Feder trug. Besa duckte sich und verschwand lautlos unter dem Tisch, von wo aus sie eine gute Sicht auf die Beine der drei Männer hatte. Sigibald hockte in einer Nische neben dem Kamin und warf ihr verschwörerische Blicke zu.
Der Bote erhob sich beim Anblick des Hauptmannes. Nach kurzen Begrüßungsfloskeln rückten die unter der Kutte nackten Beine des Mönches und die geschnürten Lederstiefel des Soldaten nebeneinander. Die staubigen Schuhe des Boten begannen ungeduldig im Stroh zu scharren.
„Unser König Chlothar schickt mich voraus, seine Ankunft zu melden. In ein bis zwei Tagen wird er eintreffen. Ihr mögt alles vorbereiten für einen würdigen Empfang!“
„Kommst du direkt aus Zülpich, Soldat? Was gibt es dort Neues?“, fragte der Hauptmann neugierig.
„Nichts Gutes, fürchte ich. König Childebert und der Sohn des verstorbenen Theuderich verbünden sich gegen Chlothar. Sie strecken die Hand nach seinen Ländern aus.“
Der Mönch kratzte sich mit dem Fuß an der linken Wade, welche übersät war mit Flohstichen. „Bekommen wir Krieg?“, fragte er mit ängstlicher Stimme.
„Sicher. Der letzte Thüringer König ist …“
Die Tür knarrte laut und Kinderfüße trappelten herein, gefolgt von dem weichen Schritt einer Frau. Das musste Radegunde sein.
„Jungfer, seid so gut, holt für unseren wackeren Reiter hier noch einen Krug frischen Met!“ Der Hauptmann wollte keine Zuhörer, so viel war klar. Nun war Radegunde zwar keine Magd, doch konnte sie sich der Bitte Sigimers auch nicht widersetzen. Ihre Schritte wandten sich in Richtung Küche.
„Und du verschwinde nach draußen! Wo ist überhaupt mein Sohn? Sonst klebt ihr doch zusammen wie Pech und Schwefel?“, knurrte der Mann Bertafrid an.
„Keine Ahnung! Hab ihn nicht gesehen!“ Damit war der Junge zur Tür hinaus.
Hinter dem Kamin feixte Sigibald und Besa drohte ihm mit dem Finger. In ihren Beinen begann es zu kribbeln, als würden Heerscharen von Ameisen ihre Adern bevölkern.
„Berichte weiter! Was ist mit König Herminafrid? Kam er nach Zülpich?“
„Aber ja, er traf am Tag des heiligen Lambertus ein und wurde gebührend empfangen. Doch dann … “
Leichte Füße in wildledernen Schuhen traten an den Tisch. Radegunde selbst brachte Met und schenkte dem Boten ein.
„Doch dann?“ Die Stimme des Hauptmannes klang ungeduldig.
„Der König stürzte von der Stadtmauer, niemand weiß genau, wie es geschah.
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