Radegunde von Thueringen
aufspringen, doch der Blick Chrothildes zwang sie auf ihren Hocker.
„Ihr vergesst, dass ich eine Thüringerin bin!“
Die alte Frau lächelte schlau, als hätte sie mit diesem Einwand längst gerechnet. „Auch über dein Thüringen wirst du Königin sein. Hast du daran noch nicht gedacht? Wenn du es schlau anstellst, kannst du für dein Volk viel Gutes bewirken.“
„Was kann das schon sein?“
Wieder lächelte Chrothilde. „Hast du jemals geliebt, Radegunde?“
Sie zögerte. Welche Art von Liebe meinte die Greisin? Die Liebe zu ihrem Vater oder zu Bertafrid? Oder … zu Amalafrid? Konnte sie von ihm wissen?
Sie beschränkte sich auf ein vages Nicken.
„Dann weißt du, was ich meine. Wenn du es schaffst, dass der König dich liebt und nicht nur als sein Spielzeug betrachtet, dann kannst du vieles erreichen. Natürlich darfst du nicht zu viel erwarten. Ein sanftes Lämmchen wirst du aus ihm nicht machen. Das wäre wohl eher meine Aufgabe gewesen. Aber du wirst lernen, seine guten Stunden auszunutzen. Vielleicht kannst du hier und da eine Grausamkeit abbiegen, eine Ungerechtigkeit verhindern oder wiedergutmachen. Verstehst du, was ich meine?“
„Ich glaube, schon.“ Der Satz hing in der Luft.
„Aber?“
„Ich habe … Angst! Und er hat meinen Bruder als Geisel.“
Chrothilde seufzte. Sie griff nach dem Becher und trank ihn in einem langen Zug aus. „Angst musst du nicht haben. Versuch, ihm zu Willen zu sein, ohne dich selbst zu verraten. Seine Schwachstelle ist seine Gottesfürchtigkeit. Gott ist der Einzige, vor dem er Respekt hat.“
Sie blickte nach der Sonne. Die Schatten auf dem Hof waren bereits kurz geworden. „Ich werde dafür sorgen, dass Agnes dich begleitet. Sie wird dir eine große Hilfe sein.“
„Und Bertafrid?“
„Für ihn kann ich nichts tun. Betrachte es als deine erste Aufgabe, deinem Bruder zu helfen.“
Chrothilde beugte sich nach vorn und griff nach ihren Händen. Eindringlich sah sie ihr in die Augen. „Radegunde, ich bin alt und es gibt für mich nicht mehr viele gute Tage. Heute jedoch habe ich Hoffnung für unser Reich geschöpft. Du wirst eine gute Königin sein. Weise diese Verantwortung nicht von dir, sondern stelle dich ihr nach bestem Gewissen. Du bist für diese Aufgabe geboren worden, vergiss das niemals!“
Erschöpft lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. „Jetzt lass mich allein. Ich werde für dich beten!“
Draußen vor der Tür blieb Radegunde stehen. Mittägliche Stille lag über Haus und Hof. Ein Satz Chrothildes kreiste in ihren Gedanken und sie spürte plötzlich, dass sie ihn akzeptieren konnte: Du wirst eine gute Königin sein. Die blinde Alte am Feuer fiel ihr ein, in der Nacht, bevor sie nach Skitingi fliehen hatten sollen. Ihre Worte hatten ähnlich geklungen: Du wirst einmal eine große Königin sein!
Königshof Soisson, 538
Mein liebster Amalafrid,
wieder hat das herbe Geschick uns weiter auseinandergebracht. Bekümmert mich mein Gram schon sehr, so weiß ich nicht, welch bitteres Los du inzwischen erfahren hast. Mit großer Not und Sorge hörte ich von deinem Schicksal. Solltest auch du jetzt verschleppt und gefangen sein, eine arme Geisel nur in den Händen des Königs von Konstantinopolis? So wähnte ich dich in Sicherheit in Ravenna, im Reich deiner Mutter, doch fiel auch dieses in Trümmer und Schutt, starben seine Könige den blutigen Tod! Wie sehr bedrückt mich eure Qual, ich schließe euch ein in meine Gebete.
Ich will nicht glauben, dass all dies Gottes Wille ist. Ich bin jetzt am Hof Chlothars, schon morgen wird er mich zur Frau nehmen. Und ach, ich bin so wenig bereit dazu! Doch Bertafrid ist hier, in seiner Hand, gefangen als Geisel. Nichts kann ich tun, als ihm zu helfen.
Oh, Lieber, wie fehlt mir dein süßes Angesicht, wie fehlen mir deine geflüsterten Worte seit unendlicher Zeit. Kann unser feindliches Los für immer verhindern, dass wir uns wiedersehen?
Ich weine um uns, ich weine um unsere Liebe.
Radegunde
Der Königshof in Soisson glich einem Bienenstock in warmer Frühlingssonne. Mägde schleppten große Platten über den Hof, auf denen sich Gebratenes türmte. Küchenjungen trugen Körbe voller duftender Brote zum Saal und mussten dabei den fein gekleideten Gästen ausweichen, die eilig zur Kapelle strebten. Die Stimme des Mundschenks schallte aus einer der Vorratshütten, wo Dienerinnen hölzerne Schalen mit Pistazien und getrockneten Feigen füllten. Neben dem Küchenhaus drehten Knechte schon seit
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