Radegunde von Thueringen
dem Morgen zwei Ochsen auf Spießen über dem Feuer. Der Duft des garenden Fleisches zog durch die Mittagshitze bis hinein in das kleine Gotteshaus, wo er sich mit dem Geruch der brennenden Kerzen und dem Aroma der ausgestreuten Blüten vermischte.
Bischof Medardus stand seitlich am Altar und beobachtete, wie seine Kirche sich füllte. Freunde und Vertraute des Königs versammelten sich rechts unter den unbespannten Fenstern. Die steil einfallenden Sonnenstrahlen ließen den tanzenden Staub sichtbar werden und das dichte weiße Haar des Priesters wie einen Heiligenschein leuchten. Auf der gegenüberliegenden Seite erkannte er Nachbarn, freie Bauern und Herren der umliegenden Höfe mit ihren Frauen. Grafen, Vikare und die Zentenare der umliegenden Gebietschaften mischten sich darunter. Feinste Seidenstoffe leuchteten in festlichen Farben, schwere Halsketten und prächtige Fibeln glänzten im Licht der Kerzen.
Ein Stuhl wurde hereingetragen und nach vorn gebracht. Chrothilde, schwer auf ihren Stock gestützt, schritt durch die ehrfürchtig verstummende Menge und nahm darauf Platz. Dicht an der steinernen Wand der Kapelle standen die einzigen Gäste der Braut: ihr Bruder und das Mädchen Agnes sowie eine kleine, verwachsene Frau, die neugierig ihre Blicke schweifen ließ.
Jetzt erstarb das Gemurmel der Gäste, und eine Gasse tat sich zwischen ihnen auf. Medardus räusperte sich und nahm seinen Platz vor dem Altar ein.
Chlothar führte seine Braut selbst. Mit undurchschaubarer Miene schritt er auf den Bischof zu. Die junge Frau an seiner Seite blickte sich herausfordernd und keineswegs ängstlich um. Auf ihrer Stirn leuchtete ein mit Gold und Edelsteinen geschmücktes Band. Unter einem dunkelblauen Mantel aus leinengefütterter Seide trug sie eine pflaumenfarbene Tunika, deren halblange Ärmel an den Manschetten mit Goldfäden bestickt waren. Ihre Füße steckten in dunklen Lederschuhen mit goldenen Beschlägen. Eine ebenfalls pflaumenfarbene Haube hielt einen roten Seidenschleier, der mit zwei goldenen Nadeln festgesteckt war und über ihre Schultern fiel.
Der Priester lächelte ihr freundlich zu. ‚Gott schütze dich!’, dachte er und nahm sich im Stillen vor, dem Herrn bei der Bewältigung dieser Aufgabe zu helfen.
Dann hob er die Hände und eröffnete die Messe.
Radegunde verfolgte den Gottesdienst nur halbherzig. Zu viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Chlothar hatte sie seit ihrer Ankunft mit einer Freundlichkeit überrascht, die sie ihm nicht zugetraut hätte und die sie beinahe ihre unfreiwillige Rolle in diesem Schauspiel vergessen ließ.
Nur wenn sie nach Bertafrid gefragt hatte, war er hartnäckig geblieben. „Du siehst ihn wieder, wenn wir getraut werden.“
Er hatte ihr ein eigenes Gemach zur Verfügung gestellt, in das sie sich völlig unbehelligt zurückziehen konnte. Dort hatte sie etliche Tuniken aus dunkler Wolle und Seide, Mäntel, wollene Unterhemden und feine Strümpfe vorgefunden. Mehrere Paar Schuhe aus feinem Leder und Bast standen vor einer Truhe, ein kunstfertiges Glasamulett und Ketten aus Bernstein sowie zwei runde goldene Schulterfibeln mit Mosaikeinlagen waren auf dem Deckel sorgfältig ausgebreitet.
Als wäre das nicht genug, hatten Schneiderinnen heute früh Hochzeitskleider gebracht und angepasst. Unauffällig sah sie an sich herunter. Das einzig Vertraute an all diesen kostbaren und ungewohnten Kleidungsstücken war ihre Fibel, deren Almandine mit dem Rot des Schleiers um die Wette leuchteten.
„Du trägst meinen Schmuck nicht!“, hatte Chlothar auf dem Weg zur Kirche festgestellt.
„Diese Fibel ist mir ein lieb gewordenes Andenken … an meine Heimat.“
Widerwillig hatte er genickt. „Ich erinnere mich an sie.“
In der Kirche fand sie sich von vielen fremden Gesichtern angestarrt. Sie setzte eine möglichst unbeteiligte Miene auf und zwang sich, die Augen nicht niederzuschlagen. Fledas Blicke streiften neidisch ihre Kleider und Chlotberga reckte sich vergeblich, um größer zu erscheinen.
Tapfer setzte sie Schritt vor Schritt, und als sie vor dem Altar ankam, erblickte sie vertraute Gesichter. Chrothilde nickte ihr zu. An deren Seite standen Besa und Agnes und neben ihr – Bertafrid! Fast hätte sie seinen Namen gerufen. Er war blass und schmal, aber er schien gesund und grinste ihr entgegen.
Der hölzerne Jesus am Kreuz blickte auf sie herab. Sein Gesicht kam ihr merkwürdig vertraut vor. Sie sah genauer hin. Konnte das sein? Es waren die Züge ihres
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