Radegunde von Thueringen
Vaters, das schmale Gesicht mit den hohlen Wangen, die große, leicht gekrümmte Nase, sein langes, lockiges Haar.
„Meine kleine Kriegerin“, hörte sie ihn flüstern, „du wirst eine starke Königin sein!“ Sie schielte zu Bertafrid hinüber. Er lächelte ihr zu und schien nichts bemerkt zu haben.
Seltsam beruhigt, fast zufrieden lauschte sie dem Gesang der Menschen hinter ihr. Der Priester breitete segnend die Arme aus und Chlothar schob ihr einen schweren Ring auf den Finger.
Während des Festessens wartete sie brennend auf die Gelegenheit, in Ruhe mit ihrem Bruder reden zu können. Als Chlothar endlich in ein Gespräch mit Bischof Medardus vertieft war, nutzte sie die Gelegenheit.
„Wie ist es dir ergangen? Haben sie dich gut behandelt?“
„Die Leute von Sigimer waren ziemlich erbost über deine Frechheit, einfach zu verschwinden.“ Er grinste und griff nach einem knusprig gebratenen Hühnerbein. „Das haben sie mich natürlich spüren lassen. Ich hatte eine Zeit lang ein paar unschöne Striemen auf dem Rücken.“
„Es tut mir leid!“
Er schluckte, warf einen vorsichtigen Blick in die Runde und senkte die Stimme. „Das muss es nicht. Die Sache hat sich gelohnt. Die Sklaven lieben dich umso mehr. Sie setzen all ihre Hoffnung in dich.“
„Aber was kann ich schon für sie tun?“
„Das wird sich zeigen. Wenn wir es schlau anstellen …“
Agnes sah sich besorgt um. „Sprecht leise! Mir scheint, ihr ahnt nicht, wie viele Feinde ihr hier am Hof habt.“
Bertafrid nickte. „Das kann ich mir denken. Einer von Chlothars Söhnen ist der Hauptmann der Wache. Er hat mich ganz besonders ins Herz geschlossen.“
„Chramn?“
„Nein, der kämpfte neben seinem Vater gegen Theudebert und kam erst vor wenigen Tagen zurück. Schau unauffällig nach rechts, neben Bischof Medardus sitzt ein Mann mit breitem Gesicht und rötlichem Bart. Das ist Gunthar, Chlothars Ältester.“
„Er sieht ihm gar nicht ähnlich!“
„Dafür hat er seinen abscheulichen Charakter geerbt.“
„Wie viele Kinder hat Chlothar eigentlich?“ Radegunde sah sich neugierig unter den vielen fremden Gesichtern um.
Bertafrid zuckte die Schultern. „Wenn man seine Bastarde mitzählt – wer kann das wissen?“
„Dort drüben neben dem Pfeiler sitzt ein schmächtiger Junge mit hellem Haar“, flüsterte Agnes.
„Der mit der Laute?“
„Ja. Das ist Chilperich, der Sohn, den ihm seine zweite Frau Arnegunde geschenkt hat. Er ist sanftmütig und schreibt Gedichte, sehr zu seines Vaters Verdruss.“
Sie betrachtete den Jungen, der in Chramns Alter sein musste, aber wesentlich jünger aussah. Seine weiche Stimme, mit der er zur Laute sang, klang traurig. Die Worte seines Liedes konnte sie nicht verstehen, dazu war es zu laut im Saal, doch sie sah, dass die Frauen an seiner Tafel sich verstohlen Tränen aus den Augen wischten.
„Woher weißt du von ihm?“
„Ich habe heute früh mit den Küchenmägden geschwatzt.“ Agnes beugte sich über den Tisch. „Es gibt noch drei Brüder, doch die sind nicht hier. Einer davon ist angeblich mit einer Handvoll Soldaten unterwegs, um Theudebert im Auge zu behalten. Über die anderen konnte ich nichts erfahren.“
„Hat er denn nur Söhne?“
„Eine Tochter, sie wurde vor Jahren schon mit einem Langobardenkönig verheiratet, ich glaube, sie heißt …“
„Was gibt es zu tuscheln?“, dröhnte plötzlich Chlothar in ihre Unterhaltung. Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach ihrer Hand. „Meine schöne Frau, es wird Zeit, dass ich dir mein Brautgeschenk übergebe.“ Er winkte einem Diener, der bereits hinter ihm gewartet hatte und ihm jetzt ein kleines Rohr aus weichem Leder reichte.
Mit einem erwartungsvollen Lächeln legte er es ihr in die Hand.
Sie brauchte eine Weile, den komplizierten Verschlussmechanismus zu öffnen. Dann zog sie eine pergamentene Rolle heraus, versiegelt mit dem königlichen Abdruck. Ehrfürchtig blickte sie auf. „Was …?“
„Nun öffne es, brich das Siegel!“, drängte er.
Vorsichtig und gespannt entrollte sie das Schreiben, das sich als Urkunde herausstellte. Ihre Blicke wanderten über die kunstvolle Schrift des königlichen Schreibers. Ihre Lippen formten die Worte, die sie kaum glauben konnte. „… überlasse ich, Chlothar, König der Franken, meiner angetrauten Gemahlin Radegunde die Villa Athies mit all ihren Fluren, Gesinde und Besitzständen …“
Die ordentlich aufgereihten Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. „Athies
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