Radegunde von Thueringen
nicht die Kälte, die in ihre Glieder kroch, sie fühlte nicht den kalten Luftzug, der vom Fenster her über ihre Haut strich. Der hölzerne Jesus mit dem Antlitz ihres Vaters gab ihr Kraft und Ruhe. Im ersten Morgengrauen fand sie den Mut, zurückzugehen.
Diesmal fuhr Besa erstaunt von ihrem Lager hoch. „Wo kommst du her?“
Sie hob die schmerzenden Schultern. „Aus der Kirche.“
„War die Nacht sehr schlimm?“, fragte Besa leise und griff nach ihren Händen. „Bei Freyas Zöpfen, du bist ja eiskalt! Du hast dir gewiss den Tod geholt!“
Jetzt erst merkte sie, dass sie jämmerlich fror. Ihre Zähne begannen zu klappern.
„Sofort legst du dich ins Bett! Ich organisiere ein Bad für dich!“
„Aber wir können ihn nicht stören!“
„Wozu hast du ein eigenes Gemach?“
Als die Sonne über den Horizont stieg, lauschte Radegunde bereits mit rot geschrubbter Haut und in einen wollenen Umhang gehüllt der Morgenmesse.
„Stell dir vor, er hat mir Athies geschenkt!“, flüsterte sie Besa zu.
„Ich weiß, Agnes hat es mir gestern Abend noch erzählt.“
„Jetzt kann ich den Kindern ihren Unterricht selbst finanzieren. Mit den Einkünften der Villa kann ich tun und lassen, was ich will. Ich bin reich!“, jubelte sie halblaut.
Chlotberga, die vor ihnen stand, drehte sich entrüstet um. „Schscht!“
„Du bist nicht nur reich, du bist die Königin von Franken!“, flüsterte Agnes.
Die Menschen um sie herum stimmten das „Kyrie eleison“ an.
Nach der Messe gingen sie hinüber zum Saal, wo die Morgenmahlzeit aufgetischt war.
Chlothar deutete auf den freien Platz neben sich. „Wo war denn meine schöne Frau heute früh?“, fragte er gut gelaunt. „Ich hätte gern noch einmal die Freuden einer jungen Ehe genossen!“
Sie versuchte, ihr Entsetzen hinter einer gleichgültigen Miene zu verstecken. „Die Morgenmesse ist mir sehr wichtig!“
Er nickte und ließ sich Hirsebrei in eine Schüssel schaufeln. „Natürlich, nichts geht über das Seelenheil.“ Aus einem Krug goss er warmen Honig über den Brei und streute großzügig gehackte Walnüsse darüber.
„Wie wirst du heute deinen Tag verbringen?“, fragte er zwischen zwei Löffeln.
Sie überlegte. Den Tagesablauf hatten bisher immer andere Leute für sie bestimmt. Mit dieser neuen Freiheit wusste sie noch nichts anzufangen.
„Ich könnte mich um die Villa Athies kümmern. Ein Schreiben an den Verwalter müsste aufgesetzt werden, damit er von meinen Vorstellungen weiß.“
„Hmm, du lässt nichts anbrennen, was? Wenn du einen Schreiber benötigst …“
„Danke, das mache ich schon selbst.“
„Gut. Du brauchst jemanden, der dir zeigt, wo sich Schreibstube, Vorratslager, Kleiderkammer und so weiter befinden. Chlotberga und Fleda werden …“
„Oh, nein!“
Er sah erstaunt von seiner Schüssel auf.
„Bitte nicht Chlotberga. Sie ist widerlich. Und Fleda ist eine Schlange.“
Er lachte laut und kratzte den letzten Rest Brei zusammen. „Na, so was. Wen hättest du denn gern?“ Er war offenbar in guter Stimmung.
Hilflos sah sie sich im Saal um. Sie kannte hier noch niemanden. Ihr Blick fiel auf den Bischof, der schräg gegenüber saß und mit einem kleinen runden Brot seine Schüssel auswischte.
„Den Priester?“, fragte sie vorsichtig.
„Medardus? Wir werden ihn fragen!“
Bischof Medardus erwies sich als kundiger Gesprächspartner, der nicht nur ihre Fragen zum Königshof beantworten konnte. Als sie ihm von ihrem Projekt in Athies berichtete, begannen seine Wangen zu glühen.
„Das ist wunderbar, meine Königin! Auch ich habe in Tournai ein Armenhaus errichtet. Eine wichtige Aufgabe in der heutigen Zeit. Es gibt so viel Not zu lindern! Auch in Noyon habe ich Ähnliches vor. Dort befindet sich meine Bischofskirche. Wenn Ihr Hilfe braucht, lasst es mich wissen!“
„Danke. Ich werde dem Verwalter gleich jetzt einen Brief schreiben, in dem ich ihm meine Vorstellungen mitteile.“
„Ist er tüchtig?“
„Der Verwalter? Ich denke, schon. Athies ist in einem guten Zustand.“
„Ich empfehle Euch, lasst es nicht an Kontrolle mangeln. Das Beste ist, Ihr habt vor Ort eine Vertrauensperson, die Euch ab und zu berichtet. Denn Pergament ist geduldig und Worte sind schnell geschrieben.“
„Ihr habt sicher Recht. Ich werde darüber nachdenken.“
Dankbar verabschiedete sie sich und eilte zurück zu der Schreibstube, die ihr Medardus während ihres Rundganges gezeigt hatte.
Dort ließ sie sich Pergament, Tinte und
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