Radegunde von Thueringen
Feder an ein Pult bringen. Nachdem sie eine geraume Zeit gegrübelt hatte, tauchte sie die Feder ein und begann zu schreiben. Punkt für Punkt erläuterte sie Syagrios ihre Vorstellungen und bat ihn, ihr monatlich einen Bericht zu senden. Dann fiel ihr der Rat des Bischofs ein. Wer würde ihr unparteiisch vom Zustand des Gutes berichten? Sie schrieb einen zweiten Brief an Gunda. In einfachen Worten bat sie auch das Mädchen um einen regelmäßigen Bericht. Dann öffnete sie das erste Pergament erneut und fügte einen Hinweis hinzu, der es Gunda ermöglichte, ihre Briefe mit den Schreiben des Verwalters an den Königshof zu senden. Als sie die Pergamente schließlich zufrieden zusammenrollte, trat der Schreiber neben sie.
„Ihr braucht ein königliches Siegel, Herrin. Habt Ihr daran gedacht?“
Sie blickte erstaunt auf. Das hatte sie nicht.
Er nickte lächelnd. „Wenn Ihr wollt, helfe ich Euch beim Entwurf und gebe den Ring bei unserem Goldschmied in Auftrag.“
Sie nickte erleichtert. „Wie lange wird das dauern?“
„Morgen ist der Ring sicher fertig. Es wird also kaum Verzögerungen geben, falls Euer Schreiben dringend ist.“
Kurz darauf beugte sie sich über die Zeichnung ihres neuen Siegelringes. RADEGUNDIS, KÖN. DER FRANKEN rankte sich in steilen Buchstaben um einen leeren Kreis. Den Titel „Königin“ mussten sie abkürzen, da der Platz nicht ausreichte.
„Was soll in die Mitte?“, fragte der Schreiber. „Eine Krone?“
„Nein!“ Eine Krone erschien ihr anmaßend, pompös. „Ein Kreuz!“
Der Schreiber sah sie zweifelnd an, doch sie nickte energisch. „Zeichne ein einfaches Kreuz!“
Dem Mann widerstrebte es wohl, als Symbol seiner Königin ein schlichtes Kreuz anzuerkennen. Er beugte sich dicht über das Pergament und zeichnete einen kleineren Kreis, an den er vier nach außen breiter werdende Balken setzte. So wirkte das Kreuz nicht allzu unscheinbar, und beide waren zufrieden.
„Die Briefe kann ich Euch bis morgen aufbewahren!“ Er streckte die Hand aus.
Doch sie schüttelte den Kopf. „Ich nehme sie mit.“ Sie freute sich darauf, ihre ersten eigenen Briefe noch einmal zu lesen, allein in ihrem Gemach.
Während der Abendmahlzeit fragte Chlothar: „War dein Tag erfolgreich?“
„Oh, ja, ich glaube, schon. Ich bekomme morgen ein eigenes Siegel, und der Bischof ist auch sehr freundlich gewesen. Ich hoffe, er ist mein Beichtvater?“
„Wenn er hier am Hofe ist, kannst du gern bei ihm beichten. Allerdings ist er häufig unterwegs, sein Bischofssitz liegt in Noyon, außerdem hält er sich oft in Tournai auf. Und nebenbei kümmert er sich noch um die Bekehrung der flämischen Heiden.“
„Davon hat er nichts erzählt, aber von seinem Hospital in Tournai! Er hat mir Hilfe für Athies angeboten.“
Chlothar nickte lächelnd. „Das glaube ich gern. Dein Waisenhort ist ganz nach seinem Geschmack.“ Er nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Weinkrug und wischte sich anschließend ein paar Tropfen aus dem Bart.
„Ich erwarte dich heute Nacht in meinem Bett!“, sagte er plötzlich und griff nach einem schrumpligen Apfel.
Ihre Euphorie zerplatzte wie ein Ei, das aus dem Nest fällt. Für kurze Zeit hatte sie den Preis für ihr neues Leben vergessen, das ihr schon beinahe spannend vorgekommen war.
„Ich kann das nicht!“, sagte sie zu Besa, als sie allein in ihrer Kammer waren. Sie saß auf einem Hocker und die Zwergin reckte sich, um ihr den Schleier abzunehmen.
„Er wird dich holen lassen, wenn du nicht gehst!“ Besa sah sie ernst an.
„Es ist so widerlich!“
„Ich weiß! Aber vielleicht gewöhnst du dich daran!“
Sie fuhr auf ihrem Sitz herum. „Daran gewöhnen? Was weißt du denn schon!“
„Mehr als du denkst!“
„Woher denn? Du bist noch nie zu so etwas Widerwärtigem gezwungen worden!“
Es war einen Moment still im Raum.
Besa seufzte und zog sich einen weiteren Hocker heran. Schnaufend kletterte sie hinauf.
„Bevor dein Vater mich kaufte, gehörte ich Filas, einem Gaukler, der aus dem Land der Hunnen gekommen war und mit seiner Truppe umherzog, um die Leute zu unterhalten. Wir waren zu sechst: Malai und Joran verbogen ihre Körper wie die Regenwürmer und eröffneten die Vorstellung, indem sie zu zweit in einen Kasten krochen, in dem sonst der Hund schlief. Dann kam Filas: Er war so stark, dass er vor den Augen der Leute Ketten zerriss und Malai und Joran mit einem Arm in ihrer Kiste in die Luft hob. Wenn ich auftrat, lachten die Leute schon bei
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