Radieschen von unten
vorn schwarz-weiß gerautet.
Juliane dagegen hatte sich komplett umgezogen. Sie trugeine schwarze Hose mit weiten Beinen, die an der Außenseite bis zum Oberschenkel hinauf geschlitzt waren, dazu ein eng anliegendes Top aus roter Spitze sowie mörderisch hohe rote Highheels, die an der Seite mit einer schwarzen Rose verziert waren. Ihre Haare trug sie offen. Sie reichten bis zum Po.
Elfie hielt sich keineswegs für spießig, sondern für aufgeschlossen und tolerant. Doch das ging ihr entschieden über die Hutschnur – tanzen im Beerdigungsinstitut!
Jetzt beugte sich Juliane auch noch weit nach hinten – genau über einen offen stehenden Sarg, in den ihre langen blonden Haare hineinbaumelten.
Also wirklich! Wenn da jetzt noch jemand drin läge! Andererseits gäbe es dann wenigstens ein Publikum für die Aufführung.
Neben diesem geschmacklosen Benehmen störte sich Elfie an dem seltsamen Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, das hier noch eine neue Facette bekam. Warum tanzte der junge Mann denn nicht mit Frauen in seinem Alter?
Dennoch verfolgte Elfie fasziniert, wie die beiden förmlich über den Boden schwebten, in immer wieder neuen Drehungen und Schrittkombinationen. Je länger sie ihnen zusah, desto mehr musste sie zugeben, dass sie ein schönes Paar abgaben und in wundervollem Einklang tanzten, völlig hingegeben an die Musik.
Der feurige Rhythmus war inzwischen von einer eher melancholischen Melodie abgelöst worden, von der sich Elfie seltsam berührt fühlte. Außerdem gefiel ihr, wie bestimmt Carlos seine Mutter führte. Beim Tanzen gab eindeutig er den Ton an und strahlte dabei ein souveränes Selbstvertrauen aus. Warum nur war davon in anderen Situationen so wenig zu spüren?
Als das Stück zu Ende ging, streifte Juliane elegant mit ihrer Fußspitze an Carlos’ Bein auf und ab. Dann drehte Carlos seine Mutter gekonnt ein letztes Mal um ihre eigene Achse und schob sie dann ein wenig von sich. Genau mit dem Schlussakkord warfen beide ein Bein nach hinten und endeten völlig synchron mit einem Klacken des Absatzes.
Fast hätte Elfie bei diesem perfekten Bild applaudiert.
Nachdem die Musik verklungen war, lösten sich Carlos und Juliane voneinander – und lachten.
So strahlend hatte sie beide noch nie gesehen. Das Tanzen tat ihnen offenbar gut.
Als das nächste Lied begann, trat Elfie vorsichtig den Rückzug an. Behutsam schloss sie die Feuerschutztür, packte schnell ihre Sachen und verließ das Büro durch den Hintereingang.
Es war ein milder Abend, und sie beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen. Dabei konnte sie ihre Beobachtungen am besten ordnen und einsortieren.
Die Tangomelodien gingen ihr gar nicht mehr aus dem Kopf. Elfie gestand sich ein, dass die Musik sie verzaubert hatte. Und so entsetzt sie zunächst über das eng umschlungene Paar gewesen war, musste sie ihre Meinung auch in diesem Punkt revidieren. Bei näherem Hinsehen hatte das völlig natürlich und harmonisch gewirkt.
Leider war jedoch von diesem harmonischen Zusammenspiel der beiden im Alltag nichts zu spüren. Da hatte Juliane die Hosen an und kommandierte nicht nur die Angestellten, sondern auch ihren Sohn im Kasernenhofton herum.
Warum sich Carlos das nur gefallen ließ? Für ihn war es höchste Zeit, sich von seiner Mutter abzunabeln.
Elfie lächelte, als sie an Carlos’ offensichtliche Verliebtheitin Trixi dachte. Vielleicht sollte sie da ein wenig nachhelfen. Die beiden gäben sicher ein hübsches Paar ab – auch beim Tangotanzen. Überhaupt brauchte Carlos mehr Gesellschaft in seinem Alter. Als Elfie vor ihrer Haustür ankam, hatte sie dazu schon eine Idee.
8.
Elfie klopfte an die Glastür des Chefbüros. Ein zweistimmiges »Herein« forderte sie zum Eintreten auf. Mutter und Sohn saßen sich an ihren Schreibtischen gegenüber, beide wie immer förmlich gekleidet.
Vom Glanz und Glamour des Tangoabends war nichts zu spüren, und Elfie fragte sich einen Augenblick lang, ob sie diese eleganten Schritte, diese leidenschaftlichen Bewegungen nur geträumt hatte.
»Ja, Frau Ruhland, was können wir für Sie tun?« Carlos wandte sich ihr zu.
Elfie musste sich erst auf ihr Anliegen besinnen, weil sie die Bilder nicht aus dem Kopf bekam. »Ich brauche unbedingt die Originalrechnungen der Lieferanten, und zwar von den letzten drei Jahren.«
Juliane sah von ihren Unterlagen hoch. »Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder Tee? Oder ein Glas Wasser?« Sie sprang auf. »Ich hole uns etwas zu trinken.«
»Nein,
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