Radieschen von unten
nein, vielen Dank, ich möchte einfach nur weiterkommen bei meiner Arbeit. Wie soll ich denn ohne diese Papiere die Steuerprüfung vorbereiten?«
Juliane Knörringer war stehen geblieben. Mit fahrigen Bewegungen strich sie über ihre Haare und trank einen Schluck Wasser aus dem Glas auf ihrem Schreibtisch.
»Ja, das verstehe ich schon. Nur gibt es da ein Problem.«
»Und das wäre?« Elfie spürte selbst, dass ihre Stimme etwas ungeduldig klang, was offensichtlich Julianes Nervosität noch vergrößerte.
»Ich habe die Buchhaltung immer selbst gemacht, all die Jahre lang. In Finanzangelegenheiten kann man ja kaum jemandem vertrauen. Nur haben wir in der letzten Zeit sehr stark expandiert und seitdem, seit…« Julianes Stimme versickerte.
»Seitdem?«, hakte Elfie nach, nichts Gutes ahnend.
»Seitdem ist mir das Ganze etwas aus dem Ruder gelaufen.«
Elfie sah Juliane fassungslos an. Aus dem Ruder gelaufen. Das klang unheilverkündend.
»Ich habe alle Unterlagen aufgehoben«, versicherte Juliane, »natürlich auch die Originalrechnungen, aber sie sind nicht gerade geordnet.«
»Aber genau das ist ja meine Arbeit. Ordnung in Unordnung zu bringen«, warf Elfie ein. »Sagen Sie mir bitte, wo die Rechnungen sind, dann kriege ich das schon in den Griff.«
»Als Erstes könnten Sie im Kellervorraum nachsehen. In den Regalen dort müssten sich noch einige Ordner finden«, sagte Juliane zögerlich. »Aber ich habe gleich einen dringenden Termin in der Filiale Osterwaldstraße. Vermutlich bin ich vor heute Abend nicht zurück. Und die restlichen Sachen sind wahrscheinlich in den Kartons im Kriechkeller. Ich muss jedoch erst nachsehen, wo der Schlüssel ist.«
»Im Kriechkeller? Wie meinst du das?«, schaltete sich Carlos ein.
»Na, wo dein altes Schaukelpferd steht und die Spielzeugeisenbahn meines Vaters.« Damit war sie zur Tür hinaus.
Elfie und Carlos sahen sich an. Schaukelpferd, Spielzeugeisenbahn?
Carlos seufzte. »Ich fürchte, mit dem Kriechkeller müssen Sie sich noch ein wenig gedulden. Ich werde mich jedenfalls auf die Suche nach dem Schlüssel machen.«
»Das wäre sehr gut. Inzwischen sehe ich mal im Kellervorraum nach.« Mit diesen Worten verließ Elfie das Büro. Kopfschüttelnd. Als sie die Tür hinter sich schließen wollte, läutete Carlos’ Telefon, und Elfie bekam gerade noch mit, wie er sagte: »Guten Morgen, Frau Liedke!«
Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme, als er fortfuhr: »Aber das ist doch kein Problem. Machen Sie das nur! Ich bin zwar gleich aus dem Haus, aber ich weiß auf jeden Fall Bescheid.«
Vorsichtig stieg Elfie die steile Kellertreppe hinunter. Das grelle Licht einer nackten Glühbirne stach ihr in die Augen. Die Regale waren mit Büchern und unzähligen Fotoalben bestückt. Elfie fragte sich, wer bei Knörringers so gern fotografierte. Dann entdeckte sie ein paar prall gefüllte Ordner mit der Aufschrift »Rechnungen«, was ihr Herz höher schlagen ließ.
Drei davon klemmte sie sich unter den Arm, ging mit ihrem Fund rasch zurück nach oben und sichtete den Inhalt.
Beim Durchblättern fand sie allerdings keine Lieferantenrechnungen, sondern ausnahmslos Kundenrechnungen. Aber auch diese brachten Elfie in ihrer Sisyphusarbeit ein Stück weiter, denn manche Ungereimtheiten konnte sie damit gegenchecken.
Saskia kam herein und fragte: »Ist die Chefin aus dem Haus? Ich meine, ich hätte ihren Wagen gehört.«
Elfie nickte. »Wahrscheinlich kommt sie erst heute Abend wieder. Der Chef geht auch gleich.«
»Super«, jubelte Saskia, griff nach ihrem Kästchen mit den Piercings und steckte sich den Metallschmuck wieder an.
»Warum machen Sie das nur?«, fragte Elfie. »Sie wissen doch, dass Frau Knörringer das nicht möchte.«
»Die kriegt das doch jetzt nicht mit. Ich muss die Piercings so viel wie möglich tragen, sonst wachsen die Löcher wieder zu. Vor allem bei den Ohrlöchern wäre dann die ganze Mühe umsonst. Durch die flesh tunnels bin ich schon bei fünf Millimetern.«
Elfie sah sie verständnislos an. Saskia schlug die Augen zur Decke und zeigte auf die Tunnel-Piercings in ihren Ohren.
»Das sind flesh tunnels, mit denen man die Ohrlöcher stretcht «, erklärte sie geduldig. »Ich will meine auf mindestens acht Millimeter dehnen. Das sieht total cool aus.«
Elfie erinnerte sich an die Fernsehsendung. »Sie wollen aussehen wie Ötzi?«, fragte sie erstaunt. So cool hatte der ihrer Meinung nach nicht gewirkt.
»Wer ist Ötzi?«, wollte Saskia
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