Radieschen von unten
setzen Sie sich doch. Was führt Sie zu mir?« Alex konnte ihr Erstaunen kaum verbergen.
Anneliese Neumann ließ sich auf den Besucherstuhl plumpsen und stieß kräftig die Luft aus. Dann holte sie aus ihrer voluminösen Tasche einen Plastikbehälter und reichte ihn Alex mit einem verschmitzten Lächeln. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.«
Alex betrachtete verständnislos die Großpackung Vanilleeis. Kalt war sie nicht, und automatisch stellte Alex Mutmaßungen über den Inhalt an, die von harmloseren Beweismitteln bis zu abgetrennten Körperteilen reichten. Mit gemischten Gefühlen öffnete sie die Box und lachte laut auf, als sie Kuchenstücke darin entdeckte.
»Mein Apfelkuchen hat Ihnen doch neulich so gut geschmeckt. Da dachte ich mir, ich bringe Ihnen mal eine weitere Kostprobe vorbei.«
»Sie sind extra hierhergekommen, um mir Kuchen zu bringen?«, fragte Alex ungläubig.
»Nun ja, das ist der Hauptgrund. Aber mir ist auch noch etwas Wichtiges eingefallen. Wir haben bei Jos Beerdigung doch über den alten VW Käfer gesprochen, der am Abend von Jos Verschwinden bei uns in der Straße stand. Erinnern Sie sich?«
Alex erinnerte sich nur zu gut. Sofort plagten sie Gewissensbisse, weil sie Elfie Ruhland deswegen immer noch nicht zur Rede gestellt hatte. Sie nickte lediglich.
»Nach unserem Gespräch habe ich mir Vorwürfe gemacht, dass ich nicht besser aufgepasst habe«, fuhr Anneliese Neumann schon fort. »Wenn nun Jos Mörder in dem Auto saß, einfach nicht auszudenken. Deswegen habe ich mir das Hirn zermartert, und plötzlich sah ich einen Teil des Kennzeichens wieder vor mir. Die Zahlen zum Schluss waren siebenundzwanzig zwölf. Ich habe nämlich am 27. Dezember Geburtstag. Das war mir durch den Kopf gegangen, als ich das Auto sah. Und jetzt ist es mir wieder eingefallen.«
Alex notierte die Zahlen und murmelte nur: »So, so. Ist das alles?«
Sie kannte zwar Elfies Kennzeichen nicht, war sich jedochziemlich sicher, dass diese vor Wilferts Haus aufgetaucht war. Nun gab es auch noch einen Beweis dafür.
Anneliese Neumann schien enttäuscht.
»Das ist doch bestimmt ein wichtiger Hinweis, der zur Ergreifung von Jos Mörder führt«, sagte sie mit einem Anflug von Trotz in der Stimme.
»Wir werden das überprüfen«, versicherte Alex. »Ist Ihnen sonst noch etwas eingefallen?«
»Allerdings. Wenn es Manni nicht war, dann bestimmt dieser Tierschützer, der den armen Jo so angepöbelt hat.« Anneliese Neumann redete sich in Rage und gestikulierte wild herum. »Das sind doch alles Fanatiker. Wer weiß, wozu die fähig sind?«
Jedem seine Vorurteile, dachte Alex.
Laut fragte sie: »Welcher Tierschützer?«
»Jo hat mir vor ein paar Wochen erzählt, dass er in der Stadt bei einer Demonstration gegen Massentierhaltung vorbeigekommen ist. Das war in der Fußgängerzone, und Jo hat vorschriftsmäßig sein Fahrrad geschoben. Da hat sich ihm so ein langhaariger Teufel in Schlabberhosen in den Weg gestellt und ihn als Mörder beschimpft.« Empört schnaufte Anneliese Neumann auf.
»Wieso hat er Herrn Wilfert als Mörder bezeichnet?«, hakte Alex nach.
»Na, wegen des Sattels aus Schlangenleder. Er hat den armen Jo nach Strich und Faden fertiggemacht und ihm vorgerechnet, wie viele unschuldige Kreaturen für seinen Sattel das Leben lassen mussten. Pah – Schlangen sind doch keine unschuldigen Kreaturen, das lehrt uns schon die Bibel. Ich habe wirklich ein Herz für Tiere, und das hatte Jo auch. Aber sich wegen ein paar blöder Schlangen so aufzuregen, das ist das Letzte.« Endlich musste Anneliese Neumann Luft holen.
Schnell warf Alex ein: »Wir werden auch diesem Hinweis nachgehen.«
Pro forma hielt sie ein paar Stichwörter auf ihrem Notizblock fest, erhoffte sich jedoch nichts von der Spur. Wer ermordete denn einen Fremden wegen eines Schlangenledersattels? So etwas passierte wohl nur in Anneliese Neumanns überbordender Phantasie.
Alex stand auf, um ihre Besucherin hinauszukomplimentieren, als sich erneut die Tür öffnete.
Noch bevor Brause auf der Bildfläche erschien, hörte man seine Stimme: »Habt ihr nicht einen Happen für mich? Mir ist schon ganz schwindlig vor Hunger.«
Als er Anneliese Neumann bemerkte, blieb er abrupt stehen. »Entschuldigung, ich wusste nicht …«
Sofort sprang Anneliese Neumann auf und bot Brause ihren Stuhl an. »Setzen Sie sich erst einmal, Sie Armer. Sie sehen schon ganz zittrig aus. Ich habe genau das Richtige für Sie.«
Sie hielt ihm ihren Kuchen unter die
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