Radikal führen
moderne Unternehmen typisch ist. Das beinhaltet auch die Fähigkeit, sich wegzudenken. Was würde (aus Sicht des anderen) fehlen, wäre ich nicht hier? Lassen wir die Trivialität beiseite, dass das Leben uns irgendwann rückstandslos entsorgt – wie würden die Dinge laufen, bliebe meine Stelle unbesetzt? Vielleicht kämen dadurch auch jene Mitarbeiter auf Betriebstemperatur, die sich beim Warten auf die große Ansage längst hingelegt haben.
Wenn es Aufgabe der Führung ist, das Überleben der Organisation zu sichern, dann ist genau diese »Führung zur Selbstführung« Ihre Aufgabe, Ihre Daseinsberechtigung. So wie der gute Arzt die Gesundheit des Patienten und somit seine eigene Entbehrlichkeit anstrebt. Wenn er das nicht tut, dann hört er auf, Arzt zu sein. Das gilt auch für Führung: Wenn Sie Ihre Entbehrlichkeit nicht anstreben, hören Sie auf, eine Führungskraft zu sein. So wie man eine gute Regierung daran erkennt, dass man ihr Regieren nicht bemerkt.
Was tun?
Heute kann kein Unternehmen mehr erfolgreich sein ohne Mitarbeiter, die Selbstverantwortung und unternehmerische Initiative zeigen. Oder, wie es der Chefdirigent der Tonhalle Zürich ausdrückte: »Mit dem herkömmlichen Repertoire an Befehlen kann man keine Musik machen.« Selbstverantwortung und unternehmerische Initiative – das sind ganz zweifellos Eigenschaften des Individuums. Aber was kann eine Führungskraft dazu beitragen, dass sich diese Eigenschaften auch im Unternehmen entfalten? Was können Sie tun, um Menschen in ihrer »Selbstführung« zu unterstützen?
Führung zur Selbstführung – diese Formulierung deutet einen Widerspruch an, der nicht so leicht aufzulösen ist. Führung bedeutet immer ein gewisses Maß an Autonomieverlust auf Seiten des Mitarbeiters, Selbstführung bedeutet das Gegenteil, nämlich Autonomiegewinn. Ist nicht der Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt, die Eigeninitiative des Mitarbeiters durch Einmischung der Führungskraft und somit durch einen nicht-autonomen Prozess zu befördern? Wie ist eine Führung möglich, die nicht mit ihren Mitteln das Ziel dementiert?
Definieren wir zunächst »Selbstführung« als die Fähigkeit, erstens »eigene« motivationale Einstellungen zu haben und sie zu kontrollieren, zweitens Entscheidungen und Unterscheidungen klug und abgewogen zu treffen und drittens nicht angewiesen zu sein auf Lenkung und extrinsische Stimulierung. Wollen Sie das unterstützen, dann dürfen Sie diese Fähigkeitnicht nur als Zustand begreifen (der »autonome Mitarbeiter«), sondern als Prozess, der begleitet werden kann (der Mitarbeiter »wird« autonom). Wenn Sie Autonomie nur als Zustand begreifen, lässt sich das Rätsel der Führung zur Selbstführung nicht lösen. Begreift man sie aber als Weg, dann geht es um ermöglichende Bedingungen. Auch bei einem Mitarbeiter, dessen Selbstverantwortung verschüttet scheint, finden sich Proto-Formen des »Sich-Kümmerns«, des Engagements und wertgestützten Unterscheidens, die zum Beispiel oft in der Freizeit sichtbar werden. Das sind basale Bausteine für Autonomie, die Sie nutzen können.
Das ist die goldene Regel für Führungskräfte: Befähige andere, erfolgreich zu sein. Was aber kann das heißen – »befähigen«? Niemand kann einen anderen Menschen »entwickeln«. Die Frage lautet daher: Unter welcher Bedingung ist es wahrscheinlich, dass ein Mitarbeiter diese Fähigkeiten auch im Unternehmen entfaltet? Wenigstens unter dieser: Stehen Sie nicht im Weg rum! Viele Führungskräfte schaffen mehr Probleme, als sie Probleme lösen – meistens um ihr überschießendes Kontrollbedürfnis zu befriedigen. Unterlassen Sie alles, was die Fähigkeit des Mitarbeiters zur Selbstbestimmung untergräbt. Reduzieren Sie alle Formen der Fremdsteuerung auf ein Minimum. Verzichten Sie vor allem auf alle Lenkungen durch Incentivierung oder Verbonifizierung. Nehmen Sie den Mitarbeiter so, wie er ist, nicht, wie er sein sollte. Wenn Sie damit nicht klarkommen, trennen Sie sich. Fair und frühzeitig. Jemandem dienen kann auch heißen, ihm zu sagen: »Sie sind auf dem falschen Spielfeld!« Versuchen Sie nicht, an ihm herumzuschrauben. An der Freiheit des anderen kommen Sie ohnehin nicht vorbei.
Seien Sie zurückhaltend mit Ratschlägen. Ratschläge sind bekanntlich auch Schläge – und erschlagen Selbstverantwortung. Regen Sie vielmehr selbstständige Suchprozesse an. Jeder Mitarbeiter, der mit einem Problem zu Ihnen kommt, hat immer auch eine
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