Radikal führen
für sich veranschlagen. Es ist jedoch in unserem korporatistischen Klima selten. Jedes System aber – und damit auch jedes Entlohnungssystem – ist eine intellektuelle Sünde. Sie wird dem Einzelfall nie gerecht. Man läuft einem unerreichbaren Ideal hinterher, wenn man Gerechtigkeit, Objektivität, Transparenz und Vergleichbarkeit im Wortsinne realisieren will. Das heißt, es gibt kein System, das allem Erstrebenswerten gerecht würde und alle Kritikpunkte vermeidet. Wir haben es immer mit mehr oder weniger »schmutzigen« Mischsystemen zu tun, bei denen man sich je nach Wertmaßstäben lediglich fragen kann, ob die schlimmsten Fehlstellungen vermieden werden konnten.
Welches Bezahlungssystem Sie aber wählen, ist nicht beliebig. Diese Wahl ist nicht zu entkoppeln von der gesamten Führungskultur im Unternehmen. Traditionen, bereits vorhandene Personalsysteme sowie Reifegrad und Selbstverantwortungder Führungskräfte spielen eine erhebliche Rolle. Aus diesem Grunde ist ein Bezahlungssystem auch nicht einfach von einem Unternehmen auf das andere übertragbar. Ein Unternehmen mit einem stark fixlohnorientierten Entgeltsystem wird zudem andere Menschen anziehen (und abstoßen) als eines mit starken Anreizen.
Grundsätzlich kann man also einfach den Markt spielen lassen. Ein Gehaltssystem, das die obigen Überlegungen aufgreift und die größten Kollateralschäden vermeiden will, kann sich jedoch an folgendem Grundgesetz ausrichten: Zahlen Sie Ihre Leute gut und fair – und dann tun Sie alles, damit sie das Geld vergessen. Die entsprechende Praxis könnte umrisshaft so aussehen: ein hohes Fixgehalt, in das der Arbeitsplatz-Wert, der Arbeitsmarkt-Wert und die Seniorität einfließen. Es ist vorteilhaft, auch die individuelle Leistung als viertes Element der Einkommensgerechtigkeit dem Fixgehalt zuzuschlagen. Die entsprechende Vergütung sollte einen breit gefächerten Leistungsbegriff abbilden. Sie sattelt also auf Bewertung, nicht (nur) Messung, und ist daher an das Interpretationsmonopol der Führungskraft zu binden. Dabei kann das totale Fixgehalt durchaus auch in schlechten Zeiten hoch sein. Grundsätzlich sollte es höher als die heutigen Grundlöhne sein, aber tiefer als die aktuellen Gesamteinkommen.
Zum Fixgehalt kann ein variabler Einkommensbestandteil (Bonus) kommen, der das Unternehmen als Leistungs- und Solidargemeinschaft reflektiert. Er ist in den meisten Unternehmen mit durchschnittlicher hierarchischer Einkommensspreizung relational zum Fixgehalt zu staffeln. Insgesamt aber sollte er eher zurückhaltend gestaltet sein und 20 Prozent der Gesamtbezüge nicht übersteigen. Dieser variable Bonus-Bestandteil kann auch als Krisenreaktionsventil funktionieren. Damit wäre eine Partnerschaft im Plus und Minus definiert, ohne das Unternehmerrisiko unangemessen auf die Mitarbeiter zu verlagern. Der Verrentung der Boni kann man mit einem einfachen Informationssystem entgegenwirken, das die Geschäftsentwicklung für jedermann nachvollziehbar macht.
Fassen wir die Vorteile zusammen:
Der Leistungsbegriff wird in seiner ganzen Breite angewendet: Auch Nicht-Messbares, aber Wichtiges und daher Bewertbares kann einbezogen werden; ebenso Zukunftsweisendes, Qualitatives, Relatives.
Die Mitarbeiter konzentrieren sich auf Leistung im Sinne langfristiger Überlebenssicherung des Unternehmens, nicht auf das Management einzelner Leistungs-Indikatoren.
Informationsvorteile der Mitarbeiter gegenüber der Führung (zum Beispiel über lokale Marktbedingungen) können nicht ausgebeutet werden.
Die Verantwortung der Führung wird gestärkt.
Extreme Boni und Gehaltsexzesse werden vermieden.
In Abwandlung eines Satzes von Malraux kann man sagen, im Management ist es wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle machen, wird schließlich zur Regel. Wer an individualisierten Anreizsystemen festhält, ignoriert, um was es im Unternehmen eigentlich geht: Zusammenarbeit zu niedrigen Transaktionskosten. Wem Anreize wichtig sind, der sollte sie da suchen, wo sie hingehören: auf den Märkten. Wer sein außergewöhnliches Talent in verschiedenen Unternehmen und wiederholt bewiesen hat, der wird sicher auch mit einem außergewöhnlichen Einkommen rechnen können.
Es bleibt aber festzuhalten, dass es nach wie vor eine tiefe Kluft gibt zwischen dem, was die Wissenschaft weiß, und dem, was das Management tut. Warum das so ist? Weil es unwahrscheinlich ist, jemandem etwas verständlich zu machen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht
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