Radikal
Samson nun in der JVA Moabit saß.
»Aber es stimmt«, erwiderte sie Rieffen fest. Sie checkte mit einem Seitenblick, wie Henk Lauter die Neuigkeiten aufnahm. Auch er hatte die Stirn in Falten gelegt.
»Wie viel davon können wir beweisen?«, fragte Rieffen.
»Fast nichts. Eigentlich gar nichts.«
»Scheiße, ich kann das nicht glauben. Samson hat diese komische Truppe ernsthaft infiltriert? Mit allem, was dazugehört?«
»Soweit ich weiß, ja. Offensichtlich. Ich hab ja auch nicht mit ihm selbst sprechen können.«
»Krass.«
»Ja.«
»Und wir wissen nicht, wer dieser Utrecht ist?«
»Nein.«
»Merle, das ist alles ganz schön schwierig, das ist dir klar, oder?«
»Frederick, es ist wie es ist. Ich sag’s euch, wie ich es gehört habe.«
Rieffen, der wieder als Einziger Hunger zu haben schien, griff beiläufig in die Chipstüte. »Außer dass Samson unschuldig ist, habe ich ehrlich gesagt nicht einmal ganz verstanden, was das alles heißt«, sagte er.
»Frederick, das geht mir ähnlich. Aber sieh es mal so: Wir müssen ja gar nicht alles beweisen. Jedenfalls nicht sofort. Es reicht, wenn wir mit diesem neuen Hintergrundwissen genug rausbekommen, um die Version, dass Samson den Anschlag verübt hat, widerlegen zu können.«
Henk Lauter und Frederick Rieffen nahmen jeweils einen tiefen Schluck aus ihren Bierflaschen.
Es war Henk, der sich schließlich räusperte. »Ich glaube, du hast recht, Merle. Lass uns gucken, wo sich daraus für uns Ansatzpunkte ergeben. Wir müssen uns ranhalten, aber vielleicht klappt es.«
»Bestimmt. Wir haben ja noch locker 48 Stunden«, stöhnte Rieffen.
»Also, wer macht was?«, warf Merle Schwalb ein, um Rieffens Sarkasmus so schnell wie möglich zu ersticken. »Henk, wie wär’s, wenn du dir die Sprengstoff-Connection vornimmst? Wie heißt der Typ, mit dem Utrecht und Sumaya al-Shami sich im Europa-Center getroffen haben? Wer kennt den? Und was kann man daraus schließen? Und Frederick, du musst die Dengelow-Nummer noch mal angehen. Wir müssen rauskriegen, was genau, und vor allem: wie er es angeschleppt hat. Wer hat ihm gesagt, wo er nach dem Sprengstoff suchen muss? Und wieso? Es muss eine Verbindung geben!«
Die beiden antworteten nicht sofort. Wie auf ein stilles Kommando tranken sie stattdessen in aller Ruhe und Schluck um Schluck ihre Flaschen leer und starrten dabei in die Ferne, was sie im Licht der Abendsonne aussehen ließ wie zwei ungleiche Zwillinge.
Schließlich nickten sie beide.
»O. k.«
»Gut, wir versuchen’s.«
Merle brachte sie zu dem Tor, das hinaus auf die Pappelallee führte. »Samson scheint ein ziemlich mutiger Typ zu sein«, sagte Henk Lauter zum Abschied.
»Geile Bude, übrigens«, erklärte Frederick Rieffen grinsend.
Merle winkte kurz, dann traten die beiden auf die Straße und verschwanden langsam im Halbdunkel, der eine Richtung U-Bahnhof Eberswalder Straße, der andere Richtung Stargarder Straße.
Das war der Mittwochabend gewesen. Der Donnerstag aber sollte sich als der Tag herausstellen, an dem sie erstmals so etwas wie Hoffnung verspürte. Vorsichtige Hoffnung. Sehr vorsichtige Hoffnung.
Sie vermutete, dass es die Information über Samsons Infiltration des Kommandos Karl Martell war, die Henk Lauter und Frederick Rieffen angespornt hatte. Vielleicht weil er so mutig gewesen war; weil er wirklich etwas herausbekommen hatte, was doch, für sie als Journalisten, eigentlich ihr Job gewesen wäre – da hingehen, wo es etwas zu finden gibt, geben könnte , etwas, das anders vielleicht nie herauskommen würde. Fast kam es ihr vor, als hätten ihre beiden Kollegen ein schlechtes Gewissen im Angesicht von Samsons kompromissloser Entscheidung. Sie könnte es verstehen. Sie hatte ja selbst eines.
Jedenfalls begannen die Puzzlestücke einzutrudeln.
Es war kurz nach elf am Donnerstag, als Henk in ihr Büro kam. »Merle, ich hab gerade erfahren, dass dieser Dengelow, unmittelbar bevor er nach dem Anschlag die BAO Zypresse mitaufgebaut hat, mit Ermittlungen über private Sprengstoffköche befasst war.«
»Wie hast du das herausbekommen?«
»Ich hab mich gefragt, wie viele Leute eigentlich Sprengstoff dieser Art und Qualität herstellen können und wo man das Zeug herbekommen kann. Dann habe ich ein bisschen rumtelefoniert, und irgendwann hatte ich einen Kriminaltechniker vom BKA dran, der mir erzählt hat, dass es da kürzlich einen größeren Vorgang gab, und dass ein gewisser Dengelow eine ganze Liste von solchen
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