Radikal
es wissen wollte. Weil es ihm keine Ruhe gelassen hat, es nicht zu wissen. Und vielleicht … ja, vielleicht auch wegen ihr.
Kurz bevor sie wieder angelegt hatten, hatte sie gefragt, ob sie die Informationen mit zwei ihrer Kollegen teilen dürfe.
Utrecht und Sumaya al-Shami sahen sie skeptisch an.
Sie erzählte ihnen von Lauter und Rieffen.
» Frederick Rieffen? Etwa der, dessen Name unter dem Artikel gestern über Samuel stand?«, fragte Sumaya.
»Ja, genau der. Genau wie ich spielt er im Moment zur Tarnung mit, aber wir haben dasselbe Ziel wie Sie, glauben Sie mir.«
Sumaya al-Shami blickte Utrecht an.
Utrecht räusperte sich und erklärte nach kurzer Bedenkzeit: »Samson hat mir gesagt, dass er Ihnen traut, also nehme ich an, dass das auch für Ihre Entscheidungen gilt.«
»Danke«, antwortete Merle Schwalb. »Wir werden jetzt weitergraben und versuchen, weitere Puzzleteile zu finden. Ich finde, dass wir uns alle noch mal zusammen treffen sollten, vielleicht Donnerstagabend, um unsere Informationen auszutauschen und abzugleichen.«
»Das wird nicht gehen«, sagte Utrecht.
»Ich werde kommen«, sagte Sumaya al-Shami.
Merle Schwalb schrieb sich Sumayas Nummer auf. Im Schatten unter der schweren Eisenbrücke, die an der Friedrichstraße den Fluss überspannte, nahmen sie Abschied.
***
Das Gespräch auf dem Ausflugsschiff hatte Sumaya aufgewühlt, und als es vorbei war, lief sie ohne besonderen Plan die Oranienburger Straße hinunter, vorbei an Minipalmen in Terrakottatöpfen, Restaurants mit Spalieren aus lila- und orangefarbenen Fahnen und wummernden Lautsprechern, aus denen irgendwelche Sommerhits auf die Straße quollen. Die Nähe, die Ferne, die Gegensätze – all das machte ihr zu schaffen. Schon dass Kai einen Treffpunkt so nah an dem Anschlagsort ausgemacht hatte, hatte sie nervös gemacht. Aber Kai hatte gesagt, ein Schiff sei ein sehr guter Ort für ein solches Gespräch, also hatte sie sich nicht gesträubt. Nun lief sie durch eine Straße, die ihr vorkam, als sei sie mit ihrer mediterranen Maskerade nicht einmal ein Teil von Berlin, und das machte sie eher noch unruhiger. Wie konnten denn all diese Menschen hier einfach Bier trinken und holländische Pommes essen?
Und dann auch noch Merle.
Sie hatte gar nicht anders gekonnt, als sie genau zu beobachten. Diese hohen, eleganten Wangenknochen, die glatte Haut, auf der ein winziger Hauch von Flaum lag. Die ganz sacht in Form gezupften Augenbrauen, die sich zwischendurch für kurze Momente überrascht zusammenzogen, während Kai Bericht erstattete. Die Gesten, so genau, so ohne jeden Zweifel. Und schließlich diese selbstbewusste Stimme, die so offenkundig daran gewöhnt war, nachzufragen und einzuhaken:
Moment, Herr Utrecht, das geht jetzt etwas schnell! Wie lange hat Samson das Kommando Karl Martell infiltriert?
Fast drei Wochen lang, bis zu seiner Verhaftung.
Und diese Zentrale in Potsdam?
Nichts. Da sind jetzt Bagger im Einsatz. Das Haus wird abgerissen. Es gehört offiziell einer Investorengemeinschaft, deren Justiziar auf Trinidad sitzt. Hoffnungslos.
Und Sinn und Konsorten haben Samson tatsächlich von diesem Sarazenen erzählt? Von dem Samson glaubt, dass es Khaldun Nabulsi ist?
Genau .
Und warum hat Nabulsi den Rest des Sprengstoffs auf Samsons Dachboden versteckt?
Weil Nabulsi Angst bekam, dass Samson das Kommando Karl Martell als Drahtzieher benennt.
Und davor hatte er weshalb Angst?
Weil Sinn ihm das Foto weitergeleitet hat, das Samson bei der Moschee am Mehringdamm zeigt.
Verstehe. Und wie hat er von Samsons Dachboden gewusst?
Samson geht davon aus, dass Nabulsi ihn auf einer Rückfahrt aus Potsdam beschattet hat.
O. k.
Sumaya erinnerte sich daran, in welchem Zustand Merle Schwalb direkt nach dem Anschlag gewesen war. Wie sie, beinahe betäubt, immer weiter in ihren Block geschrieben hatte. Samuel hatte ihr eine Ohrfeige gegeben, um sie wachzurütteln. Auf dem Schiff war sie wie ausgetauscht gewesen. Sumaya hätte gerne gewusst, warumSamuel sich damals in Merle verliebt hatte und was ihm an ihr gefallen hatte. Sie empfand keine Eifersucht. Sie hätte es nur gerne gewusst. Sie hätte überhaupt gerne mehr über Samuel gewusst.
Sumaya spürte, dass sie fast am Ende ihrer Kraft angekommen war. Es fühlte sich an, als hätte sie Fieber. Sie nahm kaum wahr, wie sie einen Fuß vor den anderen setzte. Sie hatte nur noch einen Wunsch: dass der Albtraum endlich vorbei war.
Nachdem sie sich unter der Brücke verabschiedet
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