Radikal
gesehen, dass sie ihn angerufen hatte, nachdem er wieder im mittlerweile sengenden Sonnenschein auf den Stufen vor dem Haupteingang gestanden hatte. Er hatte zwar keine besondere Lust darauf gehabt, sie zu treffen, aber er konnte ihr einen Besuch auch nicht verwehren, nicht nach dem Gespräch mit Sunderberg, also hatte er sie zurückgerufen und sie nach Treptow bestellt, für elf Uhr.
Er hatte sie am Fahrstuhl erwartet, nachdem der Empfang ihre Ankunft gemeldet und sie mit einem Besucherausweis ausgestattet hatte. Dann hatte er sie in sein Büro geführt und ihr einen Kaffee angeboten, was sie dankbar angenommen hatte, mit ziemlich viel Milch, bitte .
»Frau al-Shami, es freut mich, Sie wiederzusehen, auch wenn es natürlich traurige Umstände sind.«
»Danke, ich freue mich auch.«
»Tja, das ist wirklich traurig, tragisch. So jung. Haben Sie eine Erklärung dafür? Ich meine, Sie kannten ihn ja ein bisschen.«
»Entschuldigung, ich fürchte ich kann Ihnen nicht folgen?«
»Sind Sie denn nicht wegen Cord Munkelmann hier?«
»Was ist mit Cord?«
»Ach herrje, das tut mir leid, dass Sie das jetzt von mir erfahren, ich dachte, Sie wüssten es schon. Cord Munkelmann ist tot, es tut mir wirklich leid.«
Sie hatte es wirklich nicht gewusst. Er konnte sehen, wie sie einige Sekunden brauchte, um die Nachricht zu verarbeiten.
»Wie ist er gestorben?«, fragte sie.
»Er hat sich das Leben genommen. In seiner eigenen Wohnung.«
»Wann?«
»Vor ungefähr einer Woche.«
»Und wie?«
»Frau al-Shami, ich weiß wirklich nicht, ob …«
»Wie?«
»Erhängt.«
Vielleicht hätte er da schon etwas ahnen können. Wie sie die Nachricht kommentarlos wegsteckte. Wie sie ihm das Wort abschnitt. Er hatte ihr einen Moment gegeben, um sich zu sammeln. Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und setzte die Tasse dann vorsichtig und lautlos ab.
»Frau al-Shami, wenn Sie erlauben … Wenn Sie nicht wegen Cord Munkelmann hier sind, weswegen wollten Sie mich dann sprechen?«
»Aber ja. Ich bin hier, um Sie zu erpressen.«
»Wie bitte?«
»Herr Dengelow, Sie haben bis 18 Uhr Zeit, dafür zu sorgen, dass Samuel Sonntag freikommt.«
»Frau al-Shami, mit Verlaub, aber das ist wirklich nicht angebracht.«
War sie durchgeknallt? Unter dem Stress der Ereignisse aus der Spur geraten? Er suchte nach Anzeichen für Verwirrtheit in ihrem Blick, aber der war so klar wie ein Blick nur sein konnte.
Bevor er noch etwas sagen konnte, griff sie in ihre Tasche und knallte ein ausgeschnittenes, schwarz-weißes Bild auf seinen Schreibtisch. »Herr Dengelow, das hier ist Niklas Weissenthal. Sie sind ihm wahrscheinlich nie begegnet. Aber vielleicht erinnern Sie sich an seinen Namen, er stand auf einer Liste mit privaten Sprengstoffköchen, gegen die Sie ermitteln sollten.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Und ich fürchte, Sie sind ein bisschen durcheinander.«
»Halten Sie bitte einfach den Mund und hören Sie mir zu, ja? Sie haben dann auch ermittelt, aber nicht selbst. Sie haben stattdessen erst einmal einen V-Mann losgeschickt, nicht wahr? Mal rauskriegen, ob es sich überhaupt lohnt, so richtig einzusteigen, mit Hausdurchsuchung und so, ist ja auch wahrscheinlich alles sehr lästig, Papierkram und so weiter …«
»Sie machen sich lächerlich.«
»Herr Dengelow, Sie können mich gerne rausschmeißen. Aber wenn ich Sie wäre, würde ich jetzt ganz genau zuhören, es geht schließlich um Sie!«
Dann hatte sie ein zweites Bild auf den Tisch geknallt, direkt neben das erste. » Diesen Herren dürften Sie hingegen kennen, nicht wahr? Ich glaube, Sie nennen ihn Munir. Sein richtiger Name, falls Sie es nicht wissen, ist Khaldun Nabulsi.«
»Frau al-Shami, packen Sie Ihre Sachen und gehen Sie, bevor Sie sich endgültig strafbar machen!«
»Das ist mir scheißegal«, hatte sie geflüstert. »Aber wie steht es mit Ihnen?«
»Was soll das alles?«
»Sie haben Munir losgeschickt, nicht wahr? Und er hat Ihnen auch geholfen, ein paar der Sprengstoffköche zu überführen. Aber einen nicht: Weissenthal. Und warum nicht? Ahnen Sie es schon? Weil Munir Weissenthal den Sprengstoff abgekauft hat. Und zwar den Sprengstoff, mit dem er ein paar Tage später vierzehn Menschen zerfetzt hat.«
»Das ist doch Blödsinn! Der Sprengstoff lag bei Samuel Sonntag auf dem Dachboden.«
»Ja, stimmt. Weil Khaldun alias Munir ihn dort deponiert hat. Und wissen Sie auch, warum? Weil Samuel Sonntag ihm, im Gegensatz zu Ihnen, auf der Spur
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