Radikal
sind hier, um Ihnen zu sagen, dass es keine Samson-Geschichte geben wird.«
Erlinger lachte. »Was soll denn der Quatsch?«
»Wahrscheinlich klingelt gleich Ihr Telefon. Samson ist vor knapp zwei Stunden aus der U-Haft entlassen worden.«
Arno Erlingers Gesicht versteinerte in Zeitlupe. »Wie bitte?«
»Der Sprengstoff auf seinem Dachboden war doch nicht identisch mit der Charge, die bei dem Anschlag verwendet wurde.«
»Aber …«
»Ja, ich weiß, aber so ist es nun mal. Henk und ich haben das schnell aufgeschrieben, als wir es erfahren haben.«
»Aber dafür ist es viel zu spät.«
»Das dritte Geschlecht hat die Presse angehalten. Sie tauscht ihre zehn Seiten mit unserer einen Seite aus, vor Montag sagt das BKA sowieso nichts dazu, deshalb kriegt es die Konkurrenz wahrscheinlich auch nicht eher mit, und wir brauchen es nicht online zu machen. Und statt Ihrer nehmen sie eine Titelgeschichte aus dem Stehsatz.«
»Wollen Sie mich verarschen? Wann haben Sie das alles hinter meinem Rücken abgekaspert?«
»Wir haben gar nichts gemacht. Und Sie waren doch der, der nichts davon hören wollte, dass Samson kein Terrorist ist.«
»Aber das BKA war sich doch absolut sicher mit dem Sprengstoff?«
»Es war ein verdrecktes Gerät, Erlinger. Irgendjemand beim BKA hat das nicht vernünftig gereinigt, nachdem sie die Probe aus der Siegfried-Passage untersucht hatten.«
Es war unübersehbar, dass Erlinger ihnen nicht glaubte. Er wusste, dass sie keine Scherze machen würden, was Samsons Freilassung und die angehaltenen Druckerpressen anging. Aber er spürte, dass etwas nicht stimmen konnte. Doch er sagte nichts. Er schüttelte nur still den Kopf, leerte sein Bourbon-Glas in einem Zug, erhob sich aus seinem Erste-Klasse-Sessel, zog sein Jackett an und verließ den Raum.
Fünf Stunden später saß Merle Schwalb in eine Decke gehüllt auf dem Rasen vor ihrer Terrasse und beobachtete den Sonnenaufgang. Sie war erschöpft. Aber als das Taxi sie vor ihrer Wohnung ausgekippt hatte, hatte sie schon geahnt, dass sie nicht würde schlafen können. Also hatte sie beim Spätkauf eine Flasche Weißwein gekauft und sich nach draußen gesetzt.
Sie hatte die Flasche fast ausgetrunken.
Sie hatte nachgedacht.
Es ist geschafft, es ist vorbei! Das war ihr erster Gedanke gewesen, und sie hatte das erste Glas von dem billigen Frascati wie ein Sektglas gehalten und sich selbst zugeprostet. Und sie war ja auch tatsächlich froh, dass Samson frei war. Aber sie hatte bald gemerkt, dass die Anspannung trotzdem nicht von ihr abfiel, jedenfalls nicht ganz. Irgendetwas rumorte noch in ihr und ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
War es Erlingers merkwürdiger stummer Abschied? Nein. Erlinger, das konnte sie reinen Herzens sagen, war ihr gleichgültig. Dass er eine Blamage erlitten hatte, selbst wenn sie solche Ausmaße hatte, war ihr egal.
Oder hatte es mit ihrer eigenen Rolle zu tun? Schon eher.
Was hatte sie denn eigentlich beigetragen, um Samson zu befreien? Es war Sumaya gewesen, die ihn aus dem Gefängnis geholt hatte. Sie dachte an ihre großen grünen Augen. Und daran, wie sie in ihrer Wohnung Frederick angefaucht hatte. Sie hatte keine Ahnung, was Sumaya angestellt hatte, um Samson rauszuhauen, aber sie hatte eine vage Ahnung. Woher nahm sie diesen Mut? Woher hatte Samson seinen Mut genommen? Und was habe ich gemacht,als Sumaya sich um die Verletzten in der Siegfried-Passage gekümmert hatte? Ich habe in meinen beschissenen Block geschrieben!
Merle zog ihren Block aus der Handtasche und warf ihn in die Hecke. Sie trank das zweite Glas und gab sich Mühe, dabei nicht zu weinen. Ab dem dritten Glas aber hatte sie einen neuen Gedanken zu denken begonnen, und er hatte sie bis zum Sonnenaufgang wach gehalten.
Es ist gar nicht vorbei, Merle.
Es fängt gerade erst an.
Sie hatte sogar im Dunkel der Nacht ihren Block wieder aus der Hecke gezogen. Dann hatte sie sich einen Stift und eine Kerze und eine Decke aus der Wohnung geholt. Samson war frei, das war das Wichtigste. So wichtig, dass es richtig gewesen war, nicht über den irregeleiteten V-Mann von Ansgar Dengelow zu schreiben, auch wenn es ein Riesenskandal war. Sumaya hatte es sofort erkannt: Es hätte Samson nur weiter belastet. Aber Sinn und seine Freunde waren ebenfalls frei, und es musste andere Dinge geben, die nichts mit dem Anschlag zu tun hatten, die zu untersuchen sich lohnen würde. Das Firmengeflecht zum Beispiel, dem die alte Schule in Potsdam offiziell gehörte. Es war
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