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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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fortfuhr. »Weisse, da sagen die Leute immer, die Natur is so clever. Die hat allet sauber eingefädelt, die Tiere können immer genau datt, watt se brauchen, um zu überleben. Abba wie clever is datt denn mit die Blagen ihre Pubbatät? Wenn die Natur wirklich schlau war, dann würden die Blagen einen Morgen wach werden und sagen: Vatta, ich weiß getz, datt du immer recht gehabt hass. Mit allet! So! Kein Stress für die Blagen, kein Stress für die Eltern, alle sind zufrieden und leben länger. Nich datt ganze Rumgeheule von wegen, du hass die Mutta nich beim Abwasch geholfen und deshalb muss ich heute Drogen nehmen und datt allet.«
    Ich dachte an meine Schwägerin und ihre vier Kinder, von denen drei in der Pubertät waren. Meine Schwägerin hatte in den letzten zwei Jahren schwer abgebaut und wirkte wie eine Frau, die man zwang, einen Achttausender ohne Sauerstoffgerät zu besteigen. Jeden Tag.
    »Is au egal, ob du ein Junge oder ein Mädchen geliefert kriss. Die Jungens saufen sich in dem Alter die Hucke voll und wollen dir in die Fresse hauen. Und bei die Mädels hasse die ganzen Freier ummet Haus rumstreichen, die ihr anne Wäsche wollen. So watt kriss du doch ohne Schusswaffengebrauch übbahaupt nich unter Kontrolle!«
    Ich dachte an die Jungs, die ich im Wohnzimmer meiner Schwägerin gesehen hatte und die mich schon nach dem Inhalt eines imaginären Schulterhalfters hatten tasten lassen. Und dabei ging es nur um meine Nichte, für die ich eigentlich gar nicht zuständig war. Wenn ich daran dachte, dass ich eine Tochter... Aber mit Jungs ist es doch auch nicht besser. Ich stelle mir jetzt schon manchmal vor, was ich mit diesen arroganten Schlampen mache, die meinen kleinen Jungs das Herz brechen, so wie sie es bei mir auch reihenweise ... Egal, das führt jetzt zu weit.
    »Und wennse dann erwachsen sind, dann krisse se nur noch zu Weihnachten zu Gesicht oder wennse dich anpumpen wolln. Und dann meckernse rum, weil et bei dir nicht sauber genuch is. Oder auch datt et zu sauber is, datt is au nich gut. Und dann steckense dich im Heim und verhökern deine Zinnkruchsammlung. So läuft datt. Und deshalb hammwa keine Kinder, die Else und ich.« Noch ein Pinnchen.
    »Obwohl...«, meinte Theo und unterzog die Plastiktischdecke einer eingehenden Prüfung. »Manchmal denk ich: War schon nich schlecht gewesen. Ich meine, wenn ich nich mehr bin, watt wird dann aus meine Laube?«
    Ich kippte noch einen für den Weg und fühlte mich wieder ein bisschen schlauer.
     

Fakten Für Verbraucher

Budenzauber
    Das Ruhrgebiet hat viele Vorteile: Es gibt hier keinen FC Bayern, auf je hundert Einwohner kommen mindestens zwanzig Frittenschmieden, und auch wenn der Schrebergarten und die Currywurst in Berlin erfunden wurden, ist die Benutzung des einen und der Verzehr der zweiten in dieser Gegend zum selbstverständlichen Bestandteil der Hochkultur geworden.
    Das größte Plus für die Lebensqualität zwischen Recklinghausen und Hattingen, Duisburg und Unna ist jedoch die »Trinkhalle« oder »Selterbude«, kurz: die Bude, ein nicht wegzudenkender Versorgungsstützpunkt, der elementare Grundnahrungsmittel wie Flaschenbier, Kartoffelchips und Klümpchen auch jenseits der üblichen Ladenöffnungszeiten bereithält. Beim Wohnungswechsel innerhalb des Ruhrgebietes achten echte Kenner weniger auf die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr als vielmehr auf die Entfernung zur nächsten Bude. Ich selbst kann mein gesamtes bewusstes Leben und meine Wohnbewegungen in meiner Heimatstadt (Bochum) allein anhand der Buden und der dazugehörigen Budenmänner und Budenfrauen erzählen.
    Ich erinnere mich zum Beispiel an den alten Lemke, der die Bude am Imbuschplatz hatte, ein freistehendes Modell mit Schrägdach und öffentlicher Toilette an der Rückseite - ein perfektes Bild für einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf: Vorne wurde der Flachmann Weizenjunge erworben, im Schatten gleich neben der Bude mit dem nötigen Ernst verarbeitet und im hinteren Teil gleich ortsnah entsorgt.
    Der alte Lemke selbst hatte nur ein Bein, bewegte sich aber recht behände auf zwei schwarzen Krücken über die vier Quadratmeter seines Unternehmens. Sein bester Freund war eine schwarzfellige Töle namens, und das kann man nicht erfinden, Adolf.
    Kunden waren für Herrn Lemke keine Könige, sondern das lästige Pack, mit dem man sich abgeben musste, wenn man was verkaufen wollte. Vor allem aber waren Kunden keine Leute, die ein Recht auf Hygiene hatten.

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