Radio Heimat
sein, ist es einfach Zauberei. Frikadellen schmecken in jeder Familie anders, aber nie so gut von Muttern wie von Omma.
Also verlegte sich meine Mutter auf Speisen, bei denen sie nicht mit meiner Omma konkurrierte. Sie hatte zum Beispiel eine merkwürdige Vorliebe für Innereien, dabei war sie gar keine blutrünstige Frau, las im Gegenteil bevorzugt Liebesromane. In der Rückschau übertreibt man ja gern, deshalb kommt es mir heute so vor, als habe es in meiner Kindheit einmal die Woche Nierchen gegeben. Der Geruch zog dann durchs ganze Haus und kollidierte mit dem Kohlgeruch aus der Nachbarwohnung. In den Siebzigern waren nicht mehr die Emissionen der Schwerindustrie das Hauptproblem für das Klima, sondern die kulinarischen Vorlieben ganz normaler Hausfrauen. Schon die Konsistenz der Nierchen war abscheulich. Man hatte den Eindruck, man biss auf Gummi. Und als mir dann klar wurde, was durch so eine Niere alles durchfließt, war das Thema für mich endgültig durch. Ich drohte mit Hungerstreik, aber meine Mutter sagte nur: »Das würde dir tatsächlich mal guttun!«
Auch Leber stand auf unserem Speiseplan ganz oben, obwohl die immer ein bisschen nach alter Aktentasche schmeckte. Mein Vater liebte die geschmorten Zwiebelringe, unter denen die Leber fast verschwand, und ich hielt mich vor allem an das Kartoffelpüree.
Bei allem, was es zum Kaffee gab, war Omma dann wieder ganz vorne. Einer der dicksten Sargnägel meiner Ernährung bestand aus Ommas Buttercremetorte. Wenn in einem Wort schon »Butter« UND »Creme« drin vorkommen! Aber, verdorrich noch mal, das Ding war
wirklich
lecker! Unter drei Stücken ging da gar nichts. Und das vierte heimlich unterm Tisch, wie der Köter der Nachbarn.
Oder Waffeln! Sonntachnammittach. Und dazu ein Familienfilm im Fernsehen: »Don Camillo und Peppone« oder, mein Favorit: »Der rote Korsar«, mit Burt Lancaster in gestreiften Strumpfhosen. Fressen und Fernsehen - da habe ich es gelernt.
Heutzutage zwinge ich Omma, um die Ernährung meiner eigenen Kinder nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, nur noch Zitronenkuchen oder diese Quarktorte mit Mandarinen zu backen, wobei das »oder« sich für sie immer anhört wie ein »und«. Mit Ommas ist es ja so: Sagt man ihnen, sie möchten doch bitte zum Geburtstag der Enkel oder, in unserem Fall, Urenkel
einen
Kuchen backen, wirklich nur einen, weil man ja unter sich sei und schon der eine nicht aufgegessen würde, dann backen sie auf jeden Fall zwei, weil für diese Generationen mehr einfach mehr ist. Außerdem weiß man nie, ob noch überraschend jemand klingelt.
Sagt man, okay, es kommen ein paar Leute mehr, mach doch vielleicht einen zweiten, schleppen sie mindestens drei an. Und noch ein bisschen Gebäck. Will man wirklich nur einen Kuchen, sagt man im Vorfeld kategorisch: Omma, wir wollen keinen Kuchen, wir haben die Kinder und uns selbst komplett auf Möhren umgestellt, schon wegen der Augen, wirklich, bitte, wir essen nie wieder Kuchen. Und wenn sie den einen dann anschleppt, wird es heißen: »Is nur sonn kleiner!« Auch wenn er so groß ist wie sonst auch.
Die Kriegsgeneration tendiert ja überhaupt zu Vorratshaltung. Auch wenn meine Omma mittlerweile einen gut funktionierenden Ein-Personen-Haushalt betreibt, kauft sie Wurst, Fleisch, Käse und Brot immer noch in Kompanie-Stärke. Man weiß ja nie, wer mal überraschend zum Essen vorbeikommt. Wenn ich den Kühlschrank meiner Omma öffne, denke ich immer, ich schaue in ein von einer nur noch schwach flackernden Funzel beleuchtetes Anderthalb-Kubikmeter-Schlaraffenland.
Als Vater versucht man dann, alles besser zu machen. Gesunde, ausgewogene Ernährung ist Trumpf, zu jedem Essen was Grünes. Natürlich, die Wurst im Stadion muss erlaubt sein. Doch als meine Frau kürzlich hoffte, die Kinder würden ob ihres - zugegeben exquisit zubereiteten - Steckrübenpürees in spitze Schreie hellen Entzückens ausbrechen, schoss mir schon durch Kopf, dass wir nicht mehr 1917 haben. Da man dem Partner aber nie vor den eigenen Kindern in den Rücken fallen sollte, legte ich meinem älteren Sohn nur eine Hand auf den Unterarm und sagte: »Mach die Augen zu und iss!«
Akropolis adieu!
Dem Klischee nach ernähren wir uns im Ruhrgebiet ja fast ausschließlich von Currywurstpommesmayo. Das gehört praktisch zu unserer kulturellen Identität.
Bei mir fing es damit an, dass bei uns gegenüber die Bäckerei Schmidtmeier dichtmachte und der »Akropolis Grill« einzog. Mein Vater stand
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