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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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etwas antiquiert waren.
    »Was ist mit prominenten Freunden?«, wollte er jetzt wissen. »Ist einer von euch vielleicht mal, keine Ahnung, Udo Lindenberg über den Weg gelaufen?« Wir dachten nach.
    »Ich war mal mit meinen Großeltern in Österreich im Urlaub«, sagte ich, »und da hat meine Omma mich gezwungen, mir ein Autogramm von Toni Innauer zu holen.«
    Mücke war enttäuscht. »Dem Skispringer? Geht's noch ein bisschen spießiger? Vielleicht Hans Rosenthal?«
    »Kulenkampff«, sagte Pommes.
    »Nee, lass mal«, sagte Mücke, »Kulenkampff ist okay. Mein Vater sagt, der legt nach jeder Show seine Assistentin flach. Also in puncto frühe Einflüsse müssen wir noch was drehen. Mein Bruder hat mal Gunter Gabriel kennengelernt, da kann man was draus machen. Und jetzt das Wichtigste: Frauen. Ihr müsst euch ganz genau überlegen, was da bisher gelaufen ist und was die über euch erzählen können. So Geschichten wie im Sommer mit der Blaschke dürfen nicht noch mal passieren. Ich hoffe, die Alte kann den Mund halten.«
    Pommes wurde erst blass und dann rot. Im Sommer war er auf einer Party im Jugendzentrum Martina Blaschke sehr nahe gekommen. Sie hatte sich an die Beule in seiner Hose gedrückt, als kriegte sie Geld dafür, hatte ihn mit in ein leeres Büro genommen und sich zumindest teilweise für ihn entkleidet. Pommes allerdings war von der Situation derart überfordert gewesen, dass er beim Anblick ihrer Brüste in Tränen ausgebrochen war. Dummerweise hatte er uns davon erzählt.
    »Ihr seht also«, sagte Mücke, »da ist noch eine ganze Menge Arbeit zu leisten, bevor wir überhaupt daran denken können, Instrumente in die Hand zu nehmen. Zunächst mal müssen unsere Storys stimmen. Also vor allem eure. Meine ist ja jetzt schon quasi wasserdicht.«
    Eine Woche später wurde Pommes auf der Toilette mit Haschisch erwischt. Er musste kotzen, weil er versucht hatte, das Zeug zu schnupfen. Mücke bat seinen Bruder, uns ein bisschen Koks zu besorgen, aber der lachte nur und sagte, wir sollten mal schön bei Mottenkugeln und Malzbier bleiben.
    Spüli kaufte einem Cousin eine alte Wandergitarre ab, und bei einem Folkabend in der Schule spielten wir beide zusammen ein paar Stücke von Simon and Garfunkel, James Taylor und Joni Mitchell, was zuerst als erfrischend anachronistisch empfunden wurde, dann aber unangenehm endete, was aber eine andere Geschichte ist.
    Nach ein paar Wochen blies Mücke das Projekt Rockband für uns endgültig ab.
    »Was soll ich mit euch machen!«, rief er. »Euch geht's einfach zu gut! Ihr habt noch nichts erlebt. Ihr seid einfach keine Meldung, Jungs. Ich sag euch, in paar Jahren läuft das ganz anders. Da treten hundert Typen im Fernsehen gegeneinander an, und am Ende gewinnen die mit den dümmsten Fressen und werden von einem bescheuerten Produzenten zur Band gemacht, weil sie die richtigen Storys auf Lager haben!«
    Wenn Mücke aufdrehte, dann erzählte er einen unglaublichen Schwachsinn.
    Ich habe dann noch ein paarmal versucht, meiner Rock'n'Roll-Biografie auf die Sprünge zu helfen. Einmal trank ich zehn Ouzo in drei Minuten und pinkelte dann an eine Kirche. Ich griff versehentlich der Mutter eines Mädchens aus meiner Stufe an die Brust und fuhr betrunken Auto ohne Führerschein. Aber das hat auch nichts gebracht.
     

Pokerface
    Die Leute in unserer Gegend gelten zu Recht als sehr vorlaut. Ein Paradebeispiel war immer mein alter Jugendfreund Mücke. Gerade in Angelegenheiten der Geschlechterbeziehungen führte er immer eine große Klappe.
    Bisweilen aber kollidierte seine große Klappe mit der bösen Realität.
    Es war in der Nacht vom sechzehnten auf den siebzehnten Oktober 1982, und wir verfolgten in der Schrebergarten-Laube von Thomas Knolls Eltern die WDR-Rocknacht. Die Laube war ziemlich groß, bewacht von sauber gezogenen Beeten mit allerlei Grünzeug, das man sogar essen konnte. Naja, abzüglich der Sachen, über die sich Spüli kurz vor Mitternacht übergeben hatte, weil der Mariacron, den wir im Küchenschrank gefunden hatten, doch nicht sein Freund geworden war. Schrebergärten sind ja bekanntlich auf Heimaterde, Schweiß und Alkohol aufgebaut.
    Little Steven and the Disciples of Soul hatten wir durch, und nach Gianna Nanini waren die meisten gegangen. Es blieben nur noch Thomas Knoll, Matze Danner, Mücke, ich selbst und Carola Rosier, das schönste Mädchen der Schule, übrig. Thomas und Matze hielten sich noch ganz gut, Mücke aber hatte schwer Schlagseite und sich

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