Radio Heimat
verpönt, den Ellenbogen auf dem Tisch zu platzieren und die freie Hand locker über die Kante baumeln zu lassen. Ist ja auch sehr bequem.
Wichtig ist, WAS gegessen wird. Schlimm war es, wenn die Rudimente bäuerlicher Ernährungsgewohnheiten sich Bahn brachen und ein großer Topf mit Erbsen, Graupen, Linsen, weißen Bohnen oder, im Extremfall, Stielmus auf dem Herd vor sich hin köchelte. Der Gestank zog durch die ganze Wohnung, das ganze Haus. Es gibt Häuser, die sind abgerissen worden, weil man den Odem zehntausendfach verkochten Blumenkohls nicht aus den Wänden hatte bringen können. Und wenn Uromma dabei war, erzählte sie dann auch noch unaufgefordert vom Steckrübenwinter 1916/17, und bei Steckrüben, da hatte ja schon der Name so einen verhängnisvollen Klang. Die bleiben einem bestimmt im Hals stecken, dachte ich als Kind.
Angeblich war immer das Ekligste das Gesündeste. Wie kann ein Teller Graupensuppe gesund sein? Etwas, das so aussieht wie schon mal gegessen und wieder hervorgewürgt, kann für den Körper nichts anderes sein als Gift! Das einzig Genießbare an so einer Pampe war die Mettwurst, die glücklicherweise noch darin herumschwamm. Aber zog man die heraus, um sie separat zu vertilgen, blieben immer ein paar Graupen, Linsen oder Erbsen daran hängen, und wie das wieder aussah, möchte man hier gar nicht beschreiben. Mein Vater pflegte dann zu sagen: »Mach die Augen zu und iss!« Immerhin schien er sich des Problems bewusst zu sein.
Es war viel Lüge rund ums Essen. Über Möhren zum Beispiel hieß es, sie seien gut für die Augen. Auf Basis von verlässlichen Alltagsbeobachtungen kann ich heute feststellen: Alle, die als Kinder Möhren gemummelt haben wie ein Kaninchen, hatten später mindestens sechs Dioptrien. Und ich, der ich mich stets von allem, was einer Möhre auch nur ähnlich sah, ferngehalten habe, kann noch immer auf zwei Kilometer Entfernung jedes Straßenschild entziffern!
Und von wegen im Spinat sei viel Eisen! Ist ja mittlerweile komplett widerlegt. Im Spinat ist nur Eisen, wenn man eine Schraube reinwirft.
Sieht man mal von diesen schon fast makrobiotischen Entgleisungen ab, hieß Essen bei uns aber immer Fleisch. Als ich mit Mitte zwanzig mal mit meiner damaligen Freundin Omma besuchte und diese im Vorfeld versprach, für uns zu kochen, gab ich zu bedenken, die Dame sei Vegetarierin, esse also kein Fleisch. Darauf Omma: »Na gut, dann mach ich Hühnchen!«
Großer Beliebtheit erfreuten sich bei uns Schweineschnitzel. Bei Omma immer ohne Sauce, bei Muttern nach »Jäger Art«, wobei die Sauce aus der Packung kam und in dem gleichen Topf angerührt wurde, in dem wir sonst Milch erhitzten. Schon die Zubereitung war schön anzusehen. Wie das Fleisch erst im Ei, dann im Mehl, dann in der Panade gewälzt wurde, war schon der erste sinnliche Genuss. Und wie es dann in der Pfanne vor sich hin brutzelte und die Panade langsam braun und knusprig wurde! Muttern benutzte eine der modernen, beschichteten Pfannen, bei Omma kam natürlich immer noch das Modell aus Gusseisen zum Einsatz, mit dem man zur Not auch Einbrecher erschlagen konnte, jedenfalls wenn man das Ding hochbekam und sich beim Ausholen nicht die Schulter auskugelte.
In der gleichen Pfanne stellte Omma eine andere Basis-Speise her, die nur Ommas wirklich hinkriegen: Frikadellen. Frikadellen von jüngeren Frauen sind nur Kopien, gut gemeinte Versuche, Plagiate. Bestimmte Speisen gelingen einfach erst, wenn eine Frau auf die nächsthöhere Daseinsstufe gelangt ist, auf die Omma-Ebene.
Versammelt sich meine Doppelkopfrunde bei mir, sodass ich als Gastgeber für die Verpflegung zuständig bin, wird schon Tage vorher gefragt: Macht deine Omma denn auch wieder Frikadellen? Sollen wir ihr
das Gehacktes
vorbeibringen? Sollen wir sie bezahlen? Geld spielt keine Rolle! (Sie haben übrigens richtig gelesen. Bei uns heißt es
das Gehacktes.
Nicht
das Gehackte.)
Fragt man Omma (und bei anderen Ommas wird das nicht anders sein), was das Geheimnis ihrer Frikadellen sei, zuckt sie nur die Schultern. »Ich mach die einfach so wie immer!« Vielleicht hat es mit der Beschaffenheit der Haut an ihren Händen zu tun, mit denen sie erst
das Gehacktes
in einer Schüssel walkt und knetet und mit Ei und Brötchen vermengt, um es dann zu perfekt geformten Fladen zu formen. Vielleicht haucht sie kurz vor dem Einlegen in die Pfanne noch mal kurz darauf, haucht den Frikadellen so Leben ein. Vielleicht, und das scheint mir am wahrscheinlichsten zu
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