Radio Heimat
bereits mit einigen Aktionen unbeliebt gemacht. Unter anderem war er aufs Dach geklettert und hatte auf das Wellblechdach der Nachbarlaube gepinkelt, wo ein mit den Knolls befreundetes Ehepaar gerade etwas machte, das sich schwer nach Tierversuchen anhörte. Nackig war der Mann nach draußen gekommen und hatte Mücke gedroht, ihn auf der Stelle totzuschlagen. »Womit denn?«, hatte Mücke gegrölt, »mit dem Bleistiftstummel da?«
Thomas Knoll hatte den Nachbarn mit einer Flasche Aufgesetztem aus den Beständen von Knoll senior beruhigen müssen.
Ich war müde und wollte nach Hause, zumal mich Kid Creole and the Coconuts nicht die Bohne interessierten, aber plötzlich kam Mücke zu mir und meinte: »Ey, Alter, du kannst noch nicht gehen. Wir spielen jetzt ne Runde Strip-Poker. Da hab ich die Rosier in zehn Minuten nackig, und dann nehm ich sie mit nach draußen und zieh die rückwärts durch die Rabatten, ich schwör's dir! Kannst die Zeit nehmen!«
Seit der Klassenfahrt nach Carolinensiel Anfang Oktober war ich mit Nicole zusammen, aber Carola Rosier nackt oder wenigstens in Unterwäsche zu sehen, war eindeutig ein Ziel, aufs Innigste zu wünschen.
Normalerweise stand in der Laube ein kneipenähnliches Ensemble aus Eckbank und schwerem Eichentisch mit gusseisernem »Stammtisch«-Aschenbecher. Heute lagen hier überall Matratzen herum. Ich hockte mich in eine Ecke und nuckelte am für mich letzten Bier der Nacht.
Thomas Knoll hielt die Bank, teilte die Karten aus und malmte Kaugummi. Matze Danner trank Rotwein aus der Korbflasche, Carola hielt sich an Bier. Alle drei sahen sehr ernst und konzentriert aus.
Was man von Mücke nicht behaupten konnte. Showsäufer, der er war, hatte er eine Flasche Wodka neben sich, in der ein langer Strohhalm steckte. Ich schätzte ihn auf mindestens anderthalb Promille. Das sprichwörtliche Pokerface wollte ihm nicht gelingen. Wenn er seine Karten aufnahm, hob er die Augenbrauen, schüttelte den Kopf, grinste breit oder knurrte »Scheiße«. Das machte ihn einigermaßen berechenbar. Zwischendurch warf er Carola Blicke zu und leckte sich die Lippen. Als Antwort streckte sie nur kurz ihren Oberkörper, sodass deutlich hervortrat, was nicht nur Mücke so sehnlich zu sehen wünschte. Allein, sein Spiel war nicht dazu angetan, ihn diesem Ziel näher zu bringen.
Als Kid Creole
Annie I'm not your daddy
jodelte, hatten Thomas Knoll und Matze Danner gerade mal je einen Schuh ablegen müssen, während Mücke schon im Unterhemd dasaß. Carola hatte noch kein einziges Spiel verloren.
Zu
Don't
take my Coconuts
musste Mücke seine labbrige braune Cordhose ausziehen. Auf seiner weißen Unterhose stand in blauer Schrift Mittwoch, obwohl heute Samstag, beziehungsweise schon Sonntagmorgen war. Mücke nuckelte Wodka durch den Strohhalm und meinte: »Jetzt roll ich das Feld von hinten auf! Zieh dich schon mal warm an, Schwester. Oder besser: aus!« Carola schenkte ihm diesen berüchtigten, schwerlidrigen Blick, der Armeen von Fünfzehnjährigen damals in die sexuelle Verzweiflung getrieben hat.
Es folgte eine kurze Phase der Hoffnung für Mücke, in der Matze und Thomas jeweils ihren zweiten Schuh verloren, aber im Laufe von Kid Creoles fast viertelstündigem
Table Manners
gab er buchstäblich sein letztes Hemd und saß nur noch in seiner albernen Unterhose da.
Als Mücke das nächste Spiel verlor, hielt die Runde inne. Ich beugte mich vor. Mücke nahm einen tiefen Schluck Wodka und stand auf. Er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten, schob aber seine Daumen hinter den Gummizug seiner Unterhose und machte lasziv gemeinte Hüftbewegungen. Millimeterweise schob er die Hose hinunter. Und genau in dem Moment, da die Gefahr am größten war, dass man wirklich was zu sehen bekam, sagte Carola: »Lass mal gut sein. Ist besser für uns alle!«
Mücke starrte sie an. Offenbar spielte er mit dem Gedanken, das einfach durchzuziehen. Er war besoffen genug zu glauben, das begehrteste Mädchen der Schule würde nur durch den Anblick dessen, was jetzt noch verborgen war, in erotische Raserei verfallen. Um ihm die Entscheidung abzunehmen, stand Carola auf und ging aufs Klo. Matze Danner und Thomas Knoll schauten angestrengt in unterschiedliche Richtungen.
Zu Stoo!
Pigeon
half ich Mücke wieder in seine Klamotten und schaffte ihn raus, bevor Carola zurückkam.
Mücke war nicht begeistert. »Wieso schleppst du mich da weg!«, motzte er, als wir durch die Gartenanlage zur Straße gingen. »Die hat mich doch
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