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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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er Hausverbot. Siggi aber baute sich im Türrahmen auf, betrachtete die Bescherung und sagte nur: »Da sind ja gar keine Grieben drin!«
    Siggi war eine Berühmtheit an der Schule. Da konnte man nicht mithalten. 1985 gab ich anlässlich des 125-jährigen Schuljubiläums in einer Aufführung von George Bernard Shaws »Cäsar und Cleopatra« den Cäsar. Und als ich als solcher in einer Szene gefragt wurde, was ich denn zum bevorstehenden Gelage zu trinken wünschte, erlaubte mir mein Deutschlehrer, der als Regisseur das Sagen hatte, tatsächlich, »ein großes, kühles Pils« zu bestellen, und aus der Kulisse trat kein Geringerer als - Siggi. Die Begeisterung des unvorbereiteten Publikums (immerhin knapp sechshundert Leute) kannte keine Grenzen, und das Stück musste für mehr als fünf Minuten unterbrochen werden. Kaum hatten sich die Leute ein wenig beruhigt, sagte Siggi, mit einem unglaublichen Gespür für Timing: »ja, schönschön!« - und wieder riss es alle von den Sitzen.
    Bei der zweiten Aufführung sollte der gerade in der Schule anwesende Herbert Grönemeyer, der 1976 hier Abitur gemacht hatte, das Bier bringen, verzichtete dann aber. Er wusste wohl, dass er Siggi nicht toppen konnte.
    Die große Sportfreund-Medaille mit Eichenlaub und Schwertern verdienten wir uns rund ums Abitur. Gegen Mittag waren wir mit Klausuren und/oder Prüfungen durch und spätestens ab dreizehn Uhr war Siggi-Zeit. Bis zu einem gewissen Punkt ist der Verzehr alkoholischer Getränke bei vollem Tageslicht eine schöne Sache, gibt es da doch diese nicht genau in Minuten zu fassende Zeitspanne, in der man alles sehr viel klarer sieht, die Konturen der Dinge geschärft erscheinen und die Nebel der Verwirrung sich vom menschlichen Dasein heben. Diesen Punkt hatten wir nach den Abiprüfungen gegen vierzehn, fünfzehn Uhr erreicht. Die Welt stand uns offen, wir hatten keine Probleme, wir fühlten uns leicht. Machte man dann weiter, konnte die Verwirrung eine besonders verworrene werden.
    Wie am Tag nach unserer letzten Prüfung. Wir hatten bei Siggi angefangen, konzentriert und mit dem nötigen Ernst zu trinken, hatten geschockt und geflippert und dann in der Schule ein paar Eintragungen in den unvorsichtigerweise frei zugänglichen Klassenbüchern vorgenommen. Am frühen Abend waren Mücke und ich zu mir nach Hause gegangen, in mein Dachappartement. In jugendlichem Übermut stand uns der Sinn nach noch mehr Alkohol, auch wenn wir kaum noch geradeaus gucken, geschweige denn laufen konnten.
    Ich klingelte bei meinen Eltern und schilderte meinem Vater die Situation, für die er erstaunliches Verständnis hatte. Der erste Abiturient in der Familie. Da konnte man schon mal einen drauf machen. Außerdem war ich fast zwanzig, da musste ich wissen, was ich tat.
    Jedenfalls drückte mein Vater mir eine bauchige Flasche in die Hand, deren Etikett ich schon nicht mehr entziffern konnte. Ich stieg nach oben unters Dach, wo Mücke schon ungeduldig auf den Nachschub wartete.
    »Ey kumma«, lallte ich, »Vattern hat mir ne Pulle Schnaps mitgegeben.«
    »Guter Mann!«, meinte Mücke.
    Ich holte zwei Pinnchen aus dem Schrank und dann gaben wir uns richtig die Kante - wurden aber nicht mehr besoffener. Aber das war ja auch irgendwie klar, wir hatten jetzt Abitur und waren nicht nur erwachsen, sondern richtig harte Kerle, nicht mal Schnaps konnte uns noch was anhaben. Später am Abend gingen wir noch mal zu Siggi, und da bricht dann die Erinnerung irgendwann ab.
    Als ich am nächsten Mittag aufwachte, fand ich auf dem Tisch neben meinem Bett eine leere Flasche Mateus Rosé. Wir hatten uns mit Friseusenwein aus Schnapspinnchen abgeschossen!
    Nach dem Abitur ging Mücke nach Berlin, ich aber hielt dem Sportfreund die Treue und erlebte bisweilen Momente tiefer Kontemplation. Zum Beispiel, wenn man unter der Woche nach Mitternacht in kleiner Besetzung am Tresen stand, das Licht in der restlichen Kneipe schon gelöscht war und nur die Fiege-Werbung über unseren Köpfen den Tresen erleuchtete. Nicht selten stand ich dort mit dem Blues-Schlagzeuger und Cineasten Ludger S., der früher den Filmclub an unserer Schule geleitet hatte und dann Geschäftsführer des Programmkinos »Metropolis« im Hauptbahnhof geworden war, wo er immer erst sehr spät Feierabend hatte. In solchen Momenten konnte es geschehen, dass Siggi, der nicht dafür bekannt war, reihenweise Freibier oder Schnäpse springen zu lassen, vor jeden von uns einen Asbach hinstellte. Dann hoben wir die

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