Radio Heimat
auch nur daran dachte, von dem Zeug wenigstens zu kosten, zog ein selten gesehener Hauch von Angst über sein Gesicht. Er hat das Zeug dann dazu benutzt, im Keller eine alte Truhe abzubeizen.
Irgendwann wechselten meine Eltern in die Kleingartenanlage Engelsburg e.V., in Stahlhausen, und hier kollidierte ich im Zuge einer Geburtstagsfeier mit dem wohl auf ewig unangefochtenen Goldmedaillengewinner, was merkwürdige Flüssigkeiten angeht. Ein eher grobschlächtiger Gartennachbar meiner Eltern kam im Laufe eines zwanglosen Beisammenseins auf mich zu und sagte: »Samma, du hass doch studiert, ne?«
»Allerdings.«
»Dann trink ma dat hier, dat macht n Mann aus dir!«
Mit diesen Worten stellte er eine Cola-Flasche vor mich hin, die bis zum Hals mit etwas gefüllt war, das aussah wie der Himmel über dem Krupp-Gelände, an einem wolkenlosen, strahlenden Tag: sehr hellblau. Ich fragte, wie man das Zeug nenne, und der Nachbar sagte: »Dat? Dat ist Wodka Wick-Blau.«
»Entschuldigung«, gab ich zurück. »Ich habe Wodka Wick-Blau verstanden.«
»Genau darum gehdet, Junge.«
Wodka Wick-Blau wird folgendermaßen hergestellt: Man leere eine 1-l-Flasche Cola, Fanta, Sprite, Lift oder sonst was, spüle sie gründlich aus, kippe 0,7 1 Wodka hinein und gebe eine Tüte Wick-Blau Hustenbonbons hinzu. Das Ganze lasse man ein paar Stunden stehen und schüttele es von Zeit zu Zeit gut durch - fertig!
Wie das schmeckt? Nun, schmecken ist hier sekundär, aber der Geschmack des Wodkas ist als eher rezessiv zu bezeichnen, jener der Hustenbonbons eindeutig als dominant. Und zunächst passiert auch mal gar nichts. Das erste Pinnchen rauscht in den Magen, und man hat den Eindruck, man muss nie wieder husten. Beim zweiten Pinnchen kommen einem erste Zweifel und nach dem dritten sieht man plötzlich die Tierchen im Rasen ganz groß, obwohl man sich gar nicht erinnern kann, umgefallen zu sein. Wodka Wick-Blau gehört zu den Getränken, die sich partisanenartig von hinten anschleichen und ihrem Opfer blitzschnell und beinahe lautlos den Garaus machen. Oder, um es noch deutlicher zu sagen: Wodka Wick-Blau ist vor allem für den ungeübten Trinker das, was Lee Harvey Oswald für John F. Kennedy war - eine sehr böse Überraschung.
Kurz bevor wir alle in Dortmund aussteigen, reicht Erik Zabel die Flasche an die Frau mit den Hanf-Haaren weiter. Sie schüttelt den Kopf, trinkt aber trotzdem. »Schmeckt wie Froschpisse!«, konstatiert sie ruhig, und ich springe durch die gerade sich öffnende Tür, bevor sie erzählen kann, woher sie den Geschmack kennt.
Payback
Die viel besungene Direktheit der Leute in unserer Gegend kann einem bisweilen auch ein bisschen auf die Nerven gehen. Mir ist zum Beispiel eine aufgesetzte, unehrliche Freundlichkeit an der Supermarktkasse eigentlich lieber als ehrliches Kotzbrockentum. Allerdings gingen einem dann bisweilen auch interessante Rabatte durch die Lappen:
Es ist Freitagnachmittag im dm-Markt und ordentlich was los. Die Schlange an der einzigen geöffneten Kasse zieht sich fast durch den ganzen Laden, der Geduldsfaden der Kunden ist zum Zerreißen gespannt. Heterogene Gruppen lassen sich - das lehrt die Soziologie - am besten durch einen gemeinsamen Feind zusammenschweißen. An diesem Nachmittag fällt mir diese Rolle zu.
Die Kassiererin hat diese ganz spezielle Kassiererinnen-Ausstrahlung, die besagt: Ich arbeite gern im Supermarkt - wenn da nicht die scheiß Kunden wären!
Ich lege meine Waren aufs Band. Sie zieht sie über den Scanner. Wer jemals mitbekommen hat, wie eine schlecht gelaunte Kassiererin einen Deoroller zwölfmal über den Laser zieht und den Code dann doch von Hand eingeben muss, der zweifelt ein wenig an der Behauptung, Technik würde unser Leben vereinfachen.
Als ich bezahlen will, fragt die Weißbekittelte gelangweilt: »Hammse ne Payback-Kaate?«
»Nein.«
»Wollen Sie eine?«
»Nein danke, ist mir zu kompliziert.«
Die Frau reißt die Augen auf: »Ja, wollen Sie denn nicht sparen?«
»Wie meinen?«
»Sparen? Wollen Sie nicht sparen? Sie können hier Prozente machen! Und Prämien gibt's auch! Kaffeemaschine, Reisetasche, Fußball!«
»Haben wir alles schon, danke!«
Die Frau wird ernsthaft sauer: »Sie wollen nicht sparen?«
Da meine Laune auch langsam in den Keller sackt, mache ich eine Entgegnung, die ich im Nachhinein als unglücklich bezeichnen würde. »Herrgott, nein, ich will NICHT sparen, ich habe Kohle bis unters Dach!«
In der Schlange macht sich Unruhe
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