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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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ohne was da, Status quo bis auf weiteres, bereits im Taxi war das Notprogramm zu hören. Die Mitarbeiter hatten aus
     Protest die Arbeit niedergelegt. Ich forschte in meinen Gefühlen, empfand aber außer Verachtung und einem kleinen bißchen
     Schadenfreude nichts, dafür hatte Vögler gesorgt, vor Jahren schon.
     
    »Was machen wir jetzt?« fragte Frank. »Willst du den Sender übernehmen? Nachtratten neu auflegen?
PowerRock ?«
    »Was meinst
du
?« Ich selbst hatte nicht die leiseste Idee; |239| Vögler hochdramatisch auffliegen zu lassen war mein vorrangiges Ziel gewesen, und natürlich hatte ich darüber nachgedacht,
     wieder einzusteigen, allerdings eher halbherzig, den Gedanken nie wirklich zu Ende gebracht. Anfangs, als wir die ersten Anteile
     gekauft hatten, war ich sicher, daß die Station überleben mußte, daß es eine Neuauflage von
Power Rock
geben müßte. Aber inzwischen …
    Er starrte auf sein Glas Gin-Tonic. Sah mich an, zwinkerte.
    »Wozu? Ich meine, wozu die Station erneut aufleben lassen? Der Sender ist so tot, wie er nur sein kann, jetzt erst recht.
     Wir sollten umgehend die Anwälte bemühen und auf Schadenersatz wegen der Anteile klagen,
falsche Tatsachen
, solange noch ein bißchen Kohle da ist, am besten gleich morgen. Und uns wieder aus dem Staub machen.«
    Ich nickte langsam.
    »Andererseits …«
    Frank zog eine Augenbraue hoch. Er konnte das also auch. Doch bevor er weiterredete, sagte ich: »Nix andererseits. Das Thema
     ist erledigt. Wirklich. Die Station ist tot, und ich habe hier nichts mehr zu suchen.« Ich legte das Kinn auf die Brust und
     betrachtete mein T-Shirt. Alle Erinnerungen kamen hoch, mit einem Schlag: Angefangen bei meinem Ministudio in der Neuköllner
     Wohnung, über die erste Sendung beim
Offenen Kanal
, die Jahre beim öffentlich-rechtlichen Sender, das Abwerben durch Vögler, der Trip nach Omaha, der Stationsaufbau und Sendestart,
     die gute Zeit danach und die beschissene etwas später. Lehrjahre. Vorbei.
    »Und dieses Scheiß-Shirt will ich auch nicht mehr tragen. Sondern ein anderes. Wartest du kurz?«
    Frank nickte, ich peste auf mein Zimmer.
    Aber ich hatte kein
MBR
-T-Shirt dabei. Teufel noch eins. Dann fiel mir ein, wie ich an eines herankommen konnte. Aus dem Taxi rief ich Frank an,
     bat ihn, eine Dreiviertelstunde auf mich zu warten. Er antwortete nicht, nickte wahrscheinlich, lächelte, was weiß ich.
     
    |240| Die Frau hinter dem Tresen des ehemaligen
Your Sound
stand mit dem Rücken zu mir, offensichtlich nicht die Studi-Tante, die Frank und ich beobachtet hatten. Sie sortierte Päckchen
     mit leeren CD-Hüllen in ein Regal, hatte schwarze Haare, kurze schwarze Haare, war schlank, mittelgroß, ihre Hände und all
     das kamen mir irgendwie bekannt vor.
    Ich hielt das T-Shirt in den Händen, das ich mir aus dem Schaufenster genommen hatte.
    »Steht mir das?« fragte ich, hob das Shirt vor meine Brust.
    Liddy drehte sich um. In ihrem Gesicht war wenig Überraschung, eher Erleichterung, ein Gefühl des Heimkommens, Wärme. Sie
     zwinkerte mit dem rechten Auge, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich zeitgleich eine Träne auf den Weg gemacht
     hatte.
    »Klar«, erklärte sie, wischte sich mit dem Zeigefinger über die Wange.
    »Mmh«, machte ich. »Meinst du nicht, daß ich mit einem gelben besser aussehen würde?«
    Sie lachte. »Wir haben dieses Shirt nur in dieser Farbe, tut mir leid.«
    »Oh, na ja, dann nehme ich dieses.« Ich pausierte kurz, blickte mich im Laden um, hatte aber große Schwierigkeiten, die Nummer
     weiter mitzuspielen. Ich wollte Liddy nur umarmen, festhalten, nicht mehr loslassen. »Was ist so richtig heiß zur Zeit?«
    »Heiß?«
    »Na, worauf fahren alle ab? Was muß man kennen, um so richtig mitreden zu können?«
    Sie zog die Stirn kurz kraus, lächelte dann.
    »Keine Platte«, sagte sie.
    »Sondern?«
    »Das weißt du selbst am allerbesten.«
     
    »Wir reden später«, sagte ich zu Frank, der immer noch in der Hotelbar wartete. Liddy zog an meiner Hand, aber nur, weil sie
     näher zum Fahrstuhl stand, sonst hätte ich gezogen.
    |241|
» Viel
später«, ergänzte Frank, grinste breit und goß sich seinen Drink in den Hals.
     
    Im Fahrstuhl standen wir nebeneinander, sahen uns an, Liddy hielt meine Hand, wie im Taxi, die ganze Zeit über, hielt sie
     fest, drückte sie rhythmisch, aufgeregt, als könnte sie mir auf diese Art per Handdruckmorsezeichen etwas übermitteln, das
     ihr zu sagen schwerfiel. Ich

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