Radio Nights
Geschäftsjahr, bei einem Sender, der vom Start weg tiefschwarze Zahlen geschrieben hatte. Gleichwohl schien
niemand tatsächlich daran interessiert zu sein, ihm an den Karren zu fahren, und die Erklärung dafür war höchst einfach: Kaum
einer im Saal wußte wirklich, worum es hier ging, hatte auch nur einen Hauch Ahnung davon, warum sich
PowerStation Berlin
so entwickelt hatte, wie es sich entwickelt hatte. Hier saßen keine Radioexperten, keine Radiomenschen. Es waren einfach schlechte
Zeiten, dachten sie sich wahrscheinlich, anderen Sendern ging es ja auch nicht viel besser. Das Schlagwort
Höreroffensive
machte die Runde, Vögler selbst hatte es gestreut. Gut, dann also Krieg, dachte ich lächelnd. Dann war ich an der Reihe. Ein
Lämpchen blinkte und zeigte an, daß mein Mikrofon aufgeschaltet war. Ich räusperte mich kurz, Vögler starrte mich ausdruckslos
an, dann sagte ich: »Ich würde gerne vom Podium aus sprechen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, machte ich mich auf den Weg zur Bühne. Es ging ein Murren durch den Saal – trotz der geringen
Entfernung, die ich zurücklegen mußte, dauerte es ein bißchen, mich an den ganzen Schlipsträgern vorbeizudrängeln. Einem Aktionär
stieß ich fast den Teller mit den aufgeschichteten Bulettenbrötchen vom Tisch.
Dann stand ich an dem kleinen Pult, Vögler saß direkt neben mir, ich hatte
Tachchen
gehaucht. Er sah mich nicht an.
»Guten Tag, meine verehrten Damen und Herren«, sagte ich. »Mein Name ist Donald Kunze. Ein paar von Ihnen werden |235| mich noch kennen.« Ich steckte beide Hände in die Jackettaschen und schob es dabei so auseinander, daß das
Power Rock
-Logo auf meinem T-Shirt gut zu erkennen sein mußte.
Dann geschah etwas Unerwartetes. Einige Leute begannen zu applaudieren, erst zaghaft, dann lauter, und ein paar Sekunden später
erhob sich ein Teil des Saales, um mir
Standing Ovations
zu bringen, genau wie damals, vor langer, langer Zeit, als ich den Schüler-Vorlesewettbewerb gewonnen hatte. Ich zwinkerte,
war gerührt,
sehr
gerührt, und lächelte wie ein Blöder. Sah
nicht
zu Vögler. Ich wartete den Beifall ab, dann fuhr ich fort.
»Ich vertrete direkt und als Bevollmächtigter«, ich mußte eine recht große Zahl vom Zettel ablesen, »Stimmen, das sind siebenundzwanzig
Komma vier Prozent der Anteile.«
Ich nickte kurz zu Vögler hinüber, der sicherlich weniger Anteile besaß, vielleicht zehn Prozent – mehr konnte ich mir kaum
vorstellen. Er sah mich nicht an.
»Als Anteilseigner und Mitbesitzer der
PowerRadio Berlin Rundfunkproduktions AG
habe ich Interesse daran, daß sich das Unternehmen in einer Art entwickelt, die zukunftsorientiert, wirtschaftlich und gewinnbringend
ist – letzteres in mehrerlei Hinsicht. Darüber hinaus verbinde ich mit der Zukunft des Senders konzeptionelle Vorstellungen,
die bisher nicht verwirklicht wurden.«
Ich pausierte kurz, bedachte Vögler mit einem Lächeln, mehr für das Publikum, als für ihn selbst; er würdigte mich weiterhin
keines Blickes. »Das jedoch ist nicht der Kern des Problems. Mir ist allerdings unverständlich, warum genau dieser, der Kern,
bisher nicht zur Sprache gekommen ist. Niemand hier scheint sich dafür zu interessieren, warum aus einem der erfolgreichsten
Launches
der deutschen Radiogeschichte, einem Sender, der über die Grenzen hinaus Beachtung und Nachahmung erreicht hat, ein belangloses,
anonymisiertes Hintergrundprogramm geworden ist, dem die Hörer in Scharen weglaufen, von den Werbekunden ganz |236| zu schweigen.
PowerRock
stand unangefochten auf der Nummer eins, potentielle Kunden mußten abgewiesen werden, weil es einfach keine Werbezeit mehr
zu verkaufen gab. Bis der jetzige Aufsichtsratsvorsitzende auf die Idee kam, strukturelle und programmatische Änderungen durchzuführen,
die angeblich die Bindung neuer Hörer-, insbesondere aber von Werbezielgruppen zur Folge haben würden. Von großen Geschäften
war die Rede, langfristigen Bindungen an multinationale Unternehmen. Nichts davon ist passiert.
Um ehrlich zu sein: Sie haben in ein Verlustgeschäft investiert. Ich frage mich genauso ehrlich: Warum? Welche Konzepte sind
Ihnen vorgelegt worden, die eine Erwartung nähren, der zufolge es eine auch nur leichte Verbesserung geben wird? Wer hat Ihnen
die – nicht gestellte – Frage beantwortet, welche Aspekte sich kurzfristig ändern werden, um den Sender zum Erfolg zu führen?
Niemand, denn niemand hier« – ich
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