Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Maggie nichts mit. Ihre Augen sind starr auf A350 gerichtet. Es ist eine stumme Drohung.
„ Du tust mir weh“, jammert Zoe weiter und versucht, sich aus der Umklammerung zu befreien, aber je mehr sie sich wehrt, umso fester drückt Maggie sie an sich.
„ Maggie, lassen sie Zoe los“, mische ich mich nun auch ein, da ich sehe, dass Zoe es langsam mit der Angst zu tun bekommt, doch Maggie reagiert gar nicht auf mich.
„ Z318, ich befehle dir, deine Tochter loszulassen“, befiehlt nun A350 in autoritärer Tonlage, woraufhin sich Maggies Augen zu winzigen Schlitzen verengen. „Du hast mir nichts zu befehlen“, zischt sie zurück.
„ Mama!“, schreit Zoe nun aufgebracht. Ihr Schrei wirkt wie eine Ohrfeige und schlagartig lösen sich Maggies Hände, so als hätte sie sich an Zoe verbrannt. Betreten taumelt sie zurück. „Ich wollte das nicht“, schluchzt sie und schüttelt wie zur Bestätigung den Kopf.
„ Schon okay, alles ist gut“, verspricht ihr Zoe und schließt ihre Mutter erneut in ihre Arme, wesentlich sanfter. Dieses Mal lässt es sich Maggie gefallen und versteckt ihren Kopf an Zoes Schulter. Ich sehe, wie sie die Augen geschlossen hält und tief den Duft von Zoe einatmet.
Nachdenklich blicke ich zu A350. Sie wirkt nachdenklich und so als wäre es ihr unangenehm Zuschauer der intimen Situation zu sein. Obwohl ich weiß, dass auch sie schon Kinder haben muss, hat sie nichts mit Maggie gemeinsam. Die Geburt eines Kinder verändert eine Frau.
Ich mag A350, aber würde ich sie noch genauso mögen, wenn sie meine Mutter wäre? Eine Mutter, die nie für mich da war. Eine Mutter, die mich nie getröstet hat, wenn ich traurig war. Plötzlich erscheint mir der Raum viel zu klein und zu eng für die Menge an Emotionen. Zudem vermisse ich schmerzlich die Anwesenheit einer bestimmten Person. Finn. Er sollte hier sein. Er sollte bei seiner Mutter sein, die nie aufgehört hat, ihn zu lieben, und ihn auch immer lieben wird, egal ob seine Erinnerung zurückkehrt oder nicht.
Ruckartig eile aus dem schmalen Vorraum, ohne mich umzusehen. Ich warte nicht auf sie und Zoe, sondern laufe gezielt zu den Aufzügen. Für einen Moment überlege ich, Finn zu besuchen, aber ich entscheide mich anders. Die Vorstellung, mich mit ihm zu vertragen und dann bei den Paarungsspielen gegen einen anderen als ihn zu verlieren, tut zu weh.
Als ich den Aufzug wieder verlasse, bin ich erleichtert, Clyde vor meiner Zimmertür stehen zu sehen. In den letzten Tagen war wieder so viel los, dass ich kaum die Chance hatte, mit ihm richtig zu reden. Er lächelt mir entgegen, doch sobald ich vor ihm stehe, verändert sich sein Gesichtsausdruck und er betrachtet mich voller Sorge.
„ Ist alles in Ordnung? Du wirkst bedrückt.“
Wie so oft bin ich beeindruckt von seinem Gespür. Löst das alleine Zoes Einfluss bei ihm aus oder war er schon immer feinfühlig und durfte es nur nie zeigen?
Gerne würde ich ihm von den Mutanten erzählen, um seine Meinung dazu zu hören, aber darüber DARF ich nicht reden.
Ich denke an A350 und meine Befürchtung, dass sie meine Mutter sein könnte, aber darüber WILL ich nicht reden. Darüber zu reden würde bedeuten, den Gedanken zu akzeptieren, und das kann ich nicht.
Unmittelbar danach kommt mir Finn in den Sinn. Finn, der mich erst küsst und dann fast panisch auf seine Mutter reagiert. Ich war mir in diesem Moment so sicher, dass er sich an sie erinnert.
„ Es ist wegen Finn“, gestehe ich Clyde. „Ich glaube, er erinnert sich, aber er streitet es ab.“
„ Wundert dich das etwa?“
Verständnislos schaue ich zu ihm auf.
„ Wenn er sich erinnert, bringt die Legion ihn um.“
„ Aber ich bin doch nicht die Legion. Mir könnte er es doch sagen. Oder vertraut er mir etwa nicht?“
„ Das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Wenn du wüsstest, dass er sich erinnert, würdest du dich ihm gegenüber anders benehmen. Du könntest nichts dagegen tun, es wäre ganz natürlich.“
Nachdenklich runzele ich die Stirn. Würde ich mich Finn gegenüber anders verhalten, wenn er sich erinnern würde? Es wäre leichter für mich, weil ich ihn dann besser einschätzen könnte. Ich wüsste, was ich ihm gegenüber erwähnen kann und worüber ich besser schweige. Der neue Finn hingegen überrascht mich jeden Tag aufs Neue. Mal fühle ich mich ihm näher als je zuvor und schon in der nächsten Sekunde weist er mich von sich. Gleichzeitig versteht er mich besser, als der alte Finn es je gekonnt hätte, oder
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