Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
aussahst.“
Allein die Erinnerung an Cleo treibt mir die Tränen in die Augen. „Wie sah ich denn aus?“
„ Glücklich.“
Das Wort schwebt zwischen uns wie eine Wolke. Das ist, wonach jeder Mensch sich sehnt. Ich bin unfähig, etwas zu sagen.
„ Danach habe ich angefangen, mit Zoe zu sprechen. Ich wollte dich verstehen, denn du warst eine von ihnen. Ich musste wissen, warum du dich den Verstoßenen angeschlossen hast.“
„ Sie haben mich entführt“, erwidere ich kleinlaut.
„ Du bist freiwillig bei ihnen geblieben. Du hast an ihrer Seite gekämpft“, entgegnet Clyde. Er hat recht. Ich war eine Rebellin, wenn auch nur kurz.
Weil ich nichts sage, spricht er weiter: „Zoe hat mir von ihrem Leben erzählt. Von ihren Eltern, ihrem Bruder, dem Essen, den Tieren, den Pflanzen und ihrem liebsten Ort, dem Garten. Ich habe nie zuvor jemanden mit solch einer Begeisterung und Liebe sprechen hören. Ihre Worte waren wie eine Melodie, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Ich sehne mich danach, all das mit eigenen Augen zu sehen. Ich möchte Kuchen schmecken und den Wind in meinen Haaren spüren. Ist es wirklich so schön, wie Zoe sagt?“
Ich spüre, wie meine Hände beginnen zu zittern. Er hat als Kämpfer die Welt außerhalb der Sicherheitszone bereits gesehen, und trotzdem ist er immer wieder zurückgekehrt. Trotzdem hat er sich nie nach einem anderen Leben gesehnt. Erst Zoes Worte haben die Sehnsucht nach Freiheit in ihm geweckt. Eine Sehnsucht, die immer ein Traum bleiben wird.
Ich greife nach seiner Hand, die genauso kalt ist wie meine. Ich denke nicht an all die Kameras, die uns beobachten, und auch nicht an die Menschen um uns herum. Für sie sind wir unsichtbar. Sie sind nicht in der Lage, sich für andere zu interessieren. Es ist egal, was wir tun und worüber wir miteinander sprechen.
„ Es ist wunderschön, aber der Preis, den die Freiheit kostet, ist zu hoch.“
Irritiert blickt er mich an. „Was für ein Preis?“
„ Die Verstoßenen interessieren sich nicht für Menschen wie uns. Wir sind für sie nur Mittel zum Zweck. Sie sehen uns nicht einmal als Menschen an. Für sie sind wir Roboter, ohne die Fähigkeit zu fühlen.“
Clyde schüttelt ungläubig den Kopf. „Warum warst du dann eine von ihnen?“
„ Weil ich die Wahrheit nicht kannte. Sie haben die Menschen getötet, die mit mir entführt wurden, nur weil sie sich nicht anpassen konnten. Die Verstoßenen sind skrupellos.“
Geschockt blickt er mir entgegen und entzieht seine Hand der meinen. „Zoe ist anders.“
„ Solange sie hier ist. Aber müsste sie sich zwischen uns und ihrer Familie entscheiden, würde sie nicht eine Sekunde zögern. Für ihre Freiheit würde sie über Leichen gehen.“
Clyde wirkt erschüttert. „Warum sagst du so etwas? Was hat die Legionsführerin mit dir gemacht?“
„ Sie hat mir die Augen geöffnet.“
Eindringlich blicke ich ihn an. „Vergiss, was Zoe dir erzählt hat. Vergiss, was du in meinen Augen dort draußen gesehen hast. Es war eine Lüge. So unecht wie die Bilder des Atriums.“
Clyde schüttelt energisch den Kopf. „Nein! Du weißt, dass das nicht stimmt. Augen können nicht lügen.“
Mit diesen Worten lässt er mich stehen und geht. Nun bin ich wirklich allein. Das Atrium hat sich geleert. Die anderen Bewohner sind schon längst in ihren Zimmern, während ich mitten im Blick der Kameras stehe. Ich schaue ihnen herausfordernd entgegen. Seid ihr jetzt zufrieden mit mir? War es das, was ihr wolltet? Ich gehöre euch. Mein Wille ist gebrochen und jegliche Hoffnung gestorben.
Mir fallen langsam die Augen zu, während ich auf den Bildschirm vor mir starre. Ein herzhaftes Gähnen entfährt mir bereits im nächsten Moment und ich schlage erschrocken die Hand vor meinen Mund. Was ist denn nur los mit mir? Früher war ich doch auch nicht so. Früher habe ich mich wenigstens bemüht, einen Sinn in meiner Arbeit zu sehen. Doch die richtige Antwort ist eine ganz andere. Früher saß Zoe neben mir.
Ich blicke mich gelangweilt in dem Raum um, doch niemand erwidert meinen Blick. Alle sind vertieft in die Monitore vor sich. Niemand gähnt oder streckt sich, stattdessen sitzen sie alle mit aufrechter Haltung da, so als gäbe es auf dem Bildschirm etwas Interessantes zu lesen oder zu sehen.
Unruhig tippe ich mit meinen Fingern auf die Tischplatte, sodass ein leises Geräusch dabei entsteht. Ich ändere den Rhythmus und versuche, ein Lied nachzuspielen, das ich bei Jep und Pep
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