Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
an dem sie getroffen wurde, richtig. Doch Menschen verändern sich genauso, wie die Welt es um uns herum tut. Es gibt einen ständigen Wandel und wir haben die Aufgabe, uns diesem anzupassen.“
Wer könnte sich mehr verändert haben als ich? Bei den Rebellen hatte ich Angst davor, eine Legionsführerin zu werden. Es fühlte sich wie Verrat an, sowohl den Rebellen gegenüber als auch der Legion. Doch jetzt sehne ich mich so sehr danach, meine Bezeichnung zu hören. Es wäre eine Veränderung. Es gäbe meinem Leben einen Sinn. Ich balle meine Hände zu Fäusten und grabe meine Fingernägel tief in meine Haut. ‚Bitte, bitte, lasst es mich sein. Bitte’ , flehe ich innerlich.
„ D518, tritt bitte zu uns auf die Treppe.“
Ich erstarre. War das wirklich meine Bezeichnung oder spielen meine Ohren mir Streiche? Aufgeregt blicke ich umher. Niemand betritt die Treppe. Ich blicke zu A350, die schnell in meine Richtung nickt. Ihr Lippen formen lautlos das Wort ‚Komm’. Eilig setze ich meine Füße in Bewegung, wobei mir mein Herz bis zum Hals schlägt. Die anderen teilen sich vor mir und geben mir den Weg zur Treppe frei. Obwohl der Weg nur wenige Meter beträgt, erscheint er mir wie der längste Gang meines bisherigen Lebens. Das war es, wovon ich als Kind immer geträumt habe. Ich wollte immer eine von ihnen sein.
Als ich den Fuß der Treppe erreicht habe, zittern meine Knie so sehr, dass ich mich kaum noch auf meinen Beinen halten kann. Ich hebe den Kopf und blicke in die lichtblauen Augen des Legionsführers vor mir.
„ D518. Im Namen der Legion ernenne ich dich zu A518. Du erhältst mit dem heutigen Tag den weißen Anzug.“
Ich spüre, wie meine Lippen zittern, und höre kaum den Applaus, der rund um mich herum ausbricht. A350 tritt mir entgegen und drückt mir einen sorgfältig gefalteten, weißen Anzug in die Hände. Für einen kurzen Moment berühren sich unsere Finger. Ihre sind genauso feucht wie meine. Ich blicke in ihre Augen und sehe grenzenlose Freude und Stolz. „Willkommen“, flüstert sie fast zärtlich und lächelt mich an. Warum ist sie so anders? Sie war es schon immer. Kann es sein, dass sie sich wirklich für mich freut? Womit habe ich die Ernennung verdient? Vor ein paar Tagen bin ich noch in die Krankenstation eingebrochen und meine Arbeit in der Nahrungsvergabe nehme ich schon lange nicht mehr ernst.
Ich weiß, dass mich diese Entwicklung beunruhigen sollte, doch für einen Moment gebe ich mich der Freude hin und lasse mich feiern. Fast ist es so, als hätte es die Zeit bei den Rebellen nie gegeben.
05. Nichts als die Wahrheit
Als die weißen Türen der Legion sich langsam öffnen und ich gemeinsam mit den zwanzig Legionsführern den Gang dahinter betrete, ist es Stolz, der mein Herz aufgeregt auf und ab hüpfen lässt. Am Ende des Flurs befindet sich eine weitere Tür, die sich, wie bereits die erste, nur durch den Daumenabdruck eines Legionsführers öffnen lässt. Würde sie sich nun auch von mir öffnen lassen? Mir bleibt keine Zeit, es auszuprobieren, denn ein anderer legt bereits seinen Finger auf den Sensor. Erst jetzt fällt mir auf, wie jung er ist. Die meisten A-ler sind deutlich älter als ich, aus der vierten, dritten oder sogar zweiten Generation, doch dieser scheint in meinem Alter zu sein.
„ Zugang gewährt“, verkündet eine Computerstimme und die Türen gleiten auseinander. Dahinter öffnet sich ein kleiner Raum, kaum größer als meine ehemalige Zelle auf der Krankenstation. Doch die Wände dieses Raums sind aus Glas. Nacheinander treten wir alle ein, bis sich die Türen wieder schließen. Es ist ein Aufzug. Zuletzt bin ich mit einem gefahren, als ich von den Rebellen entführt wurde. Danach wachte ich in den Höhlen auf. Auch nach der Fahrt mit diesem Aufzug wird sich mein Leben für immer verändern.
Von oben dringt helles Licht in die Kammer. So hell, dass ich meine Augen zusammenkneifen muss. Als ich sie wieder öffnen kann, schweben wir praktisch in der Luft. Rund um uns herum ist die rote Weite der Wüste zu sehen. Unter uns liegen die Sicherheitszone und die vielen Fahrzeuge der Legion sowie Wasser- und Benzintanks, während über uns die große, gläserne Kugel der Legionsführer thront. Doch ich kann meinen Blick nicht von den roten Sandbergen reißen. Ich presse meine Handfläche gegen das kalte Glas. Dort ist der Berg, von dem aus mir Finn die Legion eines Nachts zeigte. Die Sterne standen über uns am Himmel, während wir auf allen vieren
Weitere Kostenlose Bücher