Raecher des Herzens
griff jedes Mal herzhaft zu und beklagte sich dann hinterher. »Vielleicht hilft dir ein Kräutertee.«
»Ich war gerade auf dem Weg in die Küche, um mir einen zu machen, da hörte ich euch.«
»Ich bitte dich, Tante Rose, du hättest doch nur läuten müssen.«
»Das sagt dein Vater auch immer. Aber zu dieser späten Stunde möchte ich keine Unruhe mehr ins Haus bringen.«
Tatsächlich verhielt sich die Tante am liebsten so unauffällig wie möglich. Die Schwester der Mutter war nach dem Tod ihres Gatten für eine Woche zu Besuch gekommen - und lebte nun schon zwanzig Jahre im Haus. In all ihrer Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit war sie der ideale Gast und fungierte inzwischen als Celinas Anstandsdame. Aber leider wurde sie regelmäßig von Krankheiten aller Art befallen und widmete sich ihren zahllosen Leiden und Gebrechen mit Hingabe. »Soll dir Suzette vielleicht den Tee kochen? Du weißt, wie gut sie sich mit Kräutern auskennt.«
»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte«, sagte die Zofe sofort. Sie warf Celina einen ironischen Blick zu, denn sie wusste genau, dass diese nur einen Vorwand suchte, um Tante und Zofe loszuwerden.
»Nein, wirklich«, sagte Tante Marie Rose verlegen. »Das wäre zu viel verlangt. Ich darf doch nicht erwarten ... ich würde lieber ...«
Celina kam ihr zu Hilfe. »Du weißt selbst am besten, wie du deinen Tee haben möchtest.«
»Genau«, antwortete die Tante mit einem Seufzer der
Erleichterung. »Ich gehe jetzt in die Küche und werde dort auch nichts durcheinander bringen. Ich weiß, wie sehr es deinen Vater ärgert, wenn die Köchin einen Wutanfall bekommt, weil sie etwas nicht finden kann.«
»Ist Vater denn zu Hause?«
»Nein, nein. Er ist immer noch mit dem Grafen von Lerida unterwegs, glaube ich. Ist es nicht großartig, wie gut sie sich verstehen? Aber nun gute Nacht, chere. Schlaf gut.«
»Du auch, Tante«, sagte Celina. Sie hörte, wie die alte Dame zur Hintertreppe tappte. Sie führte zur Küche hinunter, die hinter dem Haus lag.
»Für dich wird es nun auch höchste Zeit, dass du ins Bett kommst«, sagte Suzette. Dabei schlug sie die Decken zurück. »Wer weiß, was der Morgen bringt.«
»Du meinst, wer weiß, ob man am Morgen nicht meinen Bruder auf einem Fensterladen ins Haus trägt oder ob mein zukünftiger Gatte meinen Vater nicht in eine Spielhalle zerrt, wo er alles verliert - einschließlich meiner Mitgift.«
»Er wird erst dein Zukünftiger werden, wenn der Ehevertrag unterzeichnet ist. Und dein Vater ist klug genug, nicht über seine Verhältnisse zu spielen.«
»Aber der spanische Edelmann beeindruckt ihn ungemein, und er möchte ihn unbedingt zum Schwiegersohn haben.«
»Er will nur dein Bestes, das weißt du.«
»Er will beweisen, dass er bereit ist, sich um mich zu kümmern, obwohl ich daran schuld bin, dass ...«
»Nein, chere«, unterbrach Suzette sie scharf. »Er ist um dein Glück besorgt.«
»Ja, so sehr, dass er mich mit einem um Jahrzehnte älteren Mann verheiraten will, der ein Korsett trägt, das steifer ist als das meine, der süchtig ist nach Karten und hohen Einsätzen beim Poker.«
»Du wüsstest nichts von alledem, wenn Denys es dir nicht erzählt hätte.«
»Es nicht zu wissen, hätte meine Begeisterung für diese Ehe auch nicht gesteigert.«
Suzette zog die weiße Kamelienblüte aus Celinas aufgetürmter Lockenpracht. Dann entfernte sie die Kämme und Nadeln, die die Frisur hielten. »Frauen haben sich seit jeher dem Willen ihrer Familie zu beugen.«
»Das tun sie nur, weil sie weder einen eigenen Kopf noch ein Rückgrat haben.«
»Sie tun es, weil das nun einmal so ist. Sie mögen weinen und betteln, aber am Ende gehorchen sie doch. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Oft lernen sie im Laufe der Zeit, ihren Gatten zu lieben, und werden in ihrem neuen Heim glücklich.«
»Und manchmal geht es ihnen so schlecht, dass sie das Dasein nur ertragen, wenn sie ihre Sinne mit in Orangenblütenwasser gelöstem Laudanum betäuben«, entgegnete Celina gereizt. »Sie tanzen und spielen Karten, als hinge ihr Leben davon ab, stürzen sich in Krankheiten oder sterben im Kindbett. Wieder andere tun schamlose Dinge, nur damit sie von ihrem Gatten getrennt leben können.«
»Schamlose Dinge, chere?«
Celina ging nicht weiter darauf ein. »Das alles ist so sinnlos, und ich will nicht genauso enden, wenn ich es verhindern kann.«
»Ja, aber kannst du es denn?«
Celina schwieg. Plötzlich fröstelte sie in dem dünnen
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