Raecher des Herzens
Nachthemd. Rio de Silva ging ihr nicht aus dem Sinn -seine Art, wie er sich ihr genähert hatte, der silberne Glanz in seinen Augen und die Anspannung auf seinen Zügen, als er sie berührte. Noch immer konnte sie seine Finger auf ihrer Wange spüren. Sie wusste, dass all ihre Proteste umsonst gewesen wären, wenn er beschlossen hätte, es nicht dabei zu belassen.
»Du zitterst ja, Mam’zelle. Komm, lass uns schnell weitermachen, und vielleicht sollte ich dir dann zur Beruhigung deiner Nerven auch einen Kräutertee kochen.«
»Mir fehlt nichts.«
»Das merke ich«, sagte Suzette in vorwurfsvollem Ton. Sie legte die Kamelie und die Haarnadeln beiseite und begann, Celinas Haar zu bürsten.
Celina schloss einen Moment lang die Augen. Sie genoss das Gefühl der Bürste auf ihrer Kopfhaut, die von den Nadeln, die ihr schweres Haar gehalten hatten, ganz wund war. Doch auch dieses Wohlgefühl lenkte sie nicht lange von ihren Gedanken ab. »Was ist, wenn Monsieur de Silva nicht Wort hält? Was ist, wenn Denys stirbt?«
»Ich mache mir mehr Gedanken darüber, was passiert, wenn er das Duell überlebt!«, sagte Suzette grimmig. »Du hast dich auf einen unsäglichen Handel eingelassen, Mam’zelle. Wenn du die Abmachung einhältst, bist du ruiniert.«
»Das macht nichts, denn ich werde ohnehin niemals heiraten.« »Und was willst du deinem Vater sagen? Oder Denys? Welch ein Irrsinn! Ich hätte heute Abend niemals mit dir gehen dürfen.«
»Dich trifft keine Schuld. Wahrscheinlich war es wirklich töricht, mich einzumischen, aber ich dachte ...«
»Du wolltest wieder einmal deinen Bruder retten. Wirst du es denn nie begreifen?«
»Aber ich habe doch nur noch ihn.«
»Dein Vater ist auch noch da.«
»Ja.« Mehr sagte Celina dazu nicht.
Suzette schüttelte den Kopf. »Was geschehen ist, ist geschehen. Und nun ab ins Bett mit dir. Bis zum Morgen ist es nicht mehr lange.«
»Ich werde kein Auge zutun.«
»Über das, was kommen mag, nachzugrübeln, nutzt nichts.« Suzette hielt das Moskitonetz auf, während Celina die Stufen zu ihrem Bett erklomm und sich auf die dicke Matratze legte. »Denk einfach nicht daran.«
»Das ist leichter gesagt als getan«, erwiderte Celina und schloss seufzend die Augen. In ihrer Vorstellung sah sie zwei Männer mit gezückten Degen, die einander im ersten Morgenlicht gegenüberstanden. Sie schlug die Augen wieder auf. »Suzette?«
» Mam’zelle ?« Die Zofe räumte gerade den Frisiertisch auf und drehte sich zu ihr um.
»Meinst du, wir könnten ...«
»Nein!«
»Aber du weißt doch gar nicht, was ich sagen will«, protestierte Celina.
»Ich kenne dich und warte schon lange darauf, dass dir einfällt, du könntest die Sorge um deinen Bruder noch ein wenig weitertreiben und als Beobachterin zu dem Duell fahren. Aber so etwas gehört sich nicht. Dein Vater wäre außer sich.«
»Er müsste es ja nicht erfahren.«
»Du meinst, du könntest dir zu dieser frühen Stunde eine Kutsche kommen lassen, und er würde es nicht merken? Der Kutscher würde dich niemals fahren, ohne vorher bei deinem Vater nachzufragen, ob er die Ausfahrt erlaubt.«
»Du könntest mir eine Mietdroschke besorgen, ich würde durch die Seitentür hinausschlüpfen und dich an irgendeiner Straßenecke treffen.«
»Und woher sollte ich das Geld dafür nehmen? Keine von uns besitzt mehr als ein paar Piaster.«
Suzette hatte Recht. Celina legte nachdenklich die Stirn in Falten. Ihr Vater war ein vermögender Mann, und sie durfte einen gewissen Betrag für Kleider, Handschuhe, Fächer und Sonnenschirme ausgeben. Die Rechnungen dafür beglich sie allerdings nicht selbst. Sie wurden ins Stadthaus geschickt. Selbst wenn sie auf den französischen Markt ging, feilschten Suzette oder der Butler Mortimer an ihrer Stelle mit den Händlern und händigten ihnen das Geld aus, genau wie sie auch den Korb trugen. Man ging davon aus, dass junge Damen aus gutem Hause kein eigenes Geld brauchten, außer um sich gelegentlich bei einem Straßenhändler ein paar Reiskekse und eine Hand voll Pralinen zu kaufen, oder um in der Kathedrale eine Kerze anzuzünden.
»Es muss doch möglich sein«, murmelte Celina vor sich hin.
»Schlag dir das aus dem Kopf, ich bitte dich«, sagte Suzette. »Stell dir nur vor, was man über dich sagen würde, wenn es herauskäme. Denk an deine arme Tante! Sie würde sich schreckliche Vorwürfe machen, weil sie dich nicht zurückgehalten hat. Außerdem wäre es deinem Bruder sicher furchtbar peinlich, wenn
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