Raecher des Herzens
Fechtmeister durch die Gasse zu der Seitenstraße, wo der Wagen stand. Das Winterwetter zeigte sich außerordentlich mild, deshalb hatte der Kutscher das Verdeck geöffnet. Sie fuhren nur ein kurzes Stück bis zum Haus von Dr. Kiefer, der für das Treffen engagiert worden war. Der Arzt aus Wien galt als fähiger Mann und hatte viel Erfahrung mit Duellen. Mit seiner schwarzen Tasche unter dem Arm trat er, kaum dass die Kutsche angehalten hatte, aus der Tür. Man verbeugte sich und tauschte ein paar Höflichkeitsfloskeln aus, dann ging die Fahrt weiter.
Die Wagenräder holperten über das unebene Pflaster der Rue Saint-Anne und durch den Schmutz der schlammigen Straße am Congo Square. Erst nachdem sie das Vieux Carre, die Altstadt, verlassen hatten, ging es ein wenig schneller voran. Man nannte dieses Viertel auch Old Square. Französische Ingenieure hatten das gitterförmige Straßennetz vor über hundert Jahren angelegt und es anschließend mit einer schützenden Mauer umgeben. Aber die Stadt war längst weiter gewachsen. Am Rande des Viertels mit dem Namen Faubourg Marigny standen bereits die skelettartigen Gerüste zahlloser weiterer Gebäude, die ihrer Fertigstellung harrten.
Sie fuhren Richtung Bayou St. Jean und erreichten schließlich die ersten Ausläufer der Allard Plantage. Rio starrte auf das wilde Gewirr aus jungen Palmen, lilafarbenen Astern und hohen Gräsern, das in den Gräben wucherte und sich in der sanften Morgenbrise wiegte. Hinter all diesem Unkraut erhob sich das Zuckerrohr wie eine grüne Wand. Bald würde man es ernten, es mit scharfen Messern schneiden, wenn es am kräftigsten und am gehaltvollsten war. Rio wandte sich ab. Seine Miene war finster.
Nach einer weiteren Meile kam ein Eichenwäldchen in Sicht - der bevorzugte Ort, um Fragen der Ehre zu klären. Wie blanke Spiegel schimmerten die Blätter der Bäume im Morgenlicht. Das Moos, das in langen Strängen von den knorrigen Ästen hing, glich silbernen Spitzenbändern. Unter den Schatten spendenden Bäumen war das Gras dicht und grün. Am Rand des Hains standen zwei große Eichen, die man die Zwillingsschwestern nannte. Dies war der perfekte Platz für ein Duell. Er bot Schutz vor den schrägen Strahlen der
Morgensonne, welche die Kontrahenten blenden konnten, und einen nahezu ebenen Boden. Die Kutsche hielt in der Nähe der Bäume, und die Männer stiegen aus.
Der junge Vallier war nirgends zu sehen. Gilbert blickte Rio mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Offenbar werden wir allein frühstücken müssen, mon ami, und kein Aderlass wird uns zuvor den Appetit verderben.«
»Immer mit der Ruhe, Titi«, sagte Caid lächelnd. Er benutzte den Spitznamen, den die französischen Kreolen mit ihrer Vorliebe für die Verdoppelung von Silben dem Fechtmeister angehängt hatten - sehr zu dessen Leidwesen. »Wir sind ein wenig zu früh hier, weil wir unseren Freund diesmal nicht erst aus dem Bett werfen mussten.«
»Du hast Recht. Er macht einen geradezu erschreckend wachen Eindruck, findest du nicht?«
Rio warf seinen Kumpanen einen zynischen Blick zu. Er wusste, dass sie sich an seiner Stelle ebenso gut vorbereitet hätten. Beide waren in jener glänzenden Verfassung, die ihre Profession von ihnen verlangte. Gilbert, von der Abstammung her eigentlich Italiener, sah aus wie ein Franzose. Das lag nicht zuletzt an der französischen Kleidung und den französischen Schuhen, die er mit Vorliebe trug. Auch frisieren ließ er sich von einem Franzosen. Mit seinem umgänglichen Wesen und dem gelegentlich ein wenig überschäumenden Temperament gehörte er zu den wenigen Fechtmeistern, die verheiratet waren. Seine Familie wohnte über dem Studio.
Caid war größer und muskulöser als Gilbert. Seine Figur ähnelte der von Rio. Die keltische Herkunft sah man ihm nicht an. Er stammte zwar von der grünen Insel, gehörte aber zu den dunklen Iren, deren weibliche Vorfahren wohl vor langer Zeit am Strand den spanischen Invasoren in die Hände gefallen waren. Caid hatte lockiges, dunkles Haar, und das Dunkelblau seiner Augen erinnerte an die tiefen Wasser der Nordsee. Im Beisein von anderen gab er sich abwechselnd charmant und ungehobelt. Rios Freunde führten genau wie er die Klinge mit großer Kunstfertigkeit und waren den meisten anderen M aitres d’Armes der Stadt überlegen. Wenn die drei Männer einmal gegeneinander antraten, endeten die Kämpfe meist unentschieden.
Es dauerte nicht lange, bis sie einen Wagen herannahen hörten. Eine Mietdroschke
Weitere Kostenlose Bücher