Räuberbier
befanden sich das Theresienkrankenhaus und die St. Hedwig-Klinik, die inzwischen unter gemeinsamer Trägerschaft arbeiteten. Eingekesselt zwischen Neckar und Brauerei lag das Universitätsklinikum Mannheim. Direkt östlich davon hatte man vor gut zehn Jahren ein weiteres Krankenhaus hingestellt. Die Klinik Lebenswert hatte man makabrerweise auf einem ehemaligen Teilstück des städtischen Friedhofs erbaut. Bei dem Bau der Klinik hatte man aus Besuchersicht einen wichtigen Aspekt vergessen, und das waren ausreichende Parkplätze. Vermutlich war das ein Problem der meisten Krankenhäuser in Deutschland. Und selbst wenn der ohnehin schon gestresste Besucher eine der wenigen Parkmöglichkeiten fand, war diese garantiert nur für eine Kurzparkdauer von höchstens einer Stunde zulässig. Mindestens die Hälfte der Zeit benötigte man beim ersten Besuch für das Auffinden des gewünschten Krankenzimmers. Als privilegierter Besucher störte mich das heute nicht. Ich parkte meinen Dienstwagen direkt vor dem Eingang in der absoluten Halteverbotszone und legte die entsprechende Ausnahmegenehmigung auf das Armaturenbrett.
»Wir hätten ruhig ein paar Meter laufen können«, meinte Jutta.
»Du hast doch gesehen, dass überall Parkscheinautomaten hängen. Da muss ich für zwei Euro eine Reisekostenabrechnung in dreifacher Ausführung abgeben und von drei Oberärzten gegenzeichnen lassen.«
Da ich mir dummerweise nicht die Abteilung gemerkt hatte, in der Schönhausen beschäftigt gewesen war, fragte ich an der Information am Haupteingang nach. »Guten Tag, wir möchten zu Herrn Dr. Detlev Schönhausen. Würden Sie uns bitte den Weg beschreiben?«
Eine junge Dame nickte freundlich und vertiefte sich in eine Liste. Als sie den entsprechenden Eintrag gefunden hatte, gab sie den Namen in ihren Computer ein. »Dr. Schönhausen ist Assistenzarzt in der Abteilung HNO. Er hat aber zurzeit leider Urlaub. Kann Ihnen ein Kollege weiterhelfen?«
Mangels Alternative nickte ich. Dass Schönhausen seinen Urlaub zwangsweise abgebrochen hatte, brauchte die Dame nicht zu wissen.
Sie blickte erneut auf ihren Monitor. »Der direkte Vorgesetzte ist Oberarzt Dr. Heinrich. Leider ist er diese Woche krankgeschrieben. Der Chefarzt der Abteilung HNO, Prof. Dr. Wutzelsbach, wäre im Haus. Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass er für Sie Zeit hat. Soll ich versuchen, Sie anzumelden?«
Ich verneinte ihre Frage und ließ mir den Weg beschreiben. Die Klinik Lebenswert war wie alle Krankenhäuser, die ich kannte: Unendlich groß, unendlich verwinkelt, und im Eingangsbereich herrschte Bahnhofshallenatmosphäre. Bereits nach dem dritten Richtungswechsel war ich mir unsicher. Jutta übernahm das Kommando und siehe da: Sämtlichen Klischees zum Trotz, dass Frauen links und rechts nicht auseinanderhalten konnten, erreichten wir nach einer für meine Verhältnisse mittelprächtigen Wanderung die Hals-Nasen-Ohren-Abteilung. Gleich im Eingangsbereich sahen wir eine Theke, über der ein großes Schild hing: ›Anmeldung HNO-Ambulanz‹ entzifferten wir. Wir warteten, bis zwei Patienten vor uns abgefertigt waren. In dem Moment, als ich der Krankenschwester hinter der Theke meine Visitenkarte überreichte, passierte das Unfassbare.
Dietmar Becker, der grobmotorische Student der Archäologie, lief an uns vorbei. Ausgerechnet hier in der HNO-Abteilung, wo ich am wenigsten mit ihm gerechnet hätte. Becker war eine Sache für sich. In meinen letzten Mordfällen lief er mir bei meinen Ermittlungen mehr oder weniger zufällig ständig über die Füße. Im letzten Sommer galt er für mich sogar eine Zeit lang als Tatverdächtiger. Erst mit der Zeit erfuhr ich, dass Becker während seines Studiums als Journalist für die hiesigen Zeitungen schrieb, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Sein Traum war allerdings, einen Kriminalroman zu schreiben. Dies hat er mittlerweile viermal mit mehr oder weniger großem Erfolg getan. Und immer, wenn er bei meinen Ermittlungen auftauchte, wusste ich: Er recherchiert mal wieder für einen neuen Krimi. Ich muss zugeben, dass er mir durch seine Unbefangenheit, mit der er an die Sache ranging, das eine oder andere Mal sehr nützlich war. Selbstverständlich nur zufällig und mit einer großen Portion Glück. Wie ich Beckers heutiges Erscheinen zu bewerten hatte, war mir im Moment schleierhaft. Von Schönhausens Tod dürfte er eigentlich wegen der von KPD sofort verhängten Nachrichtensperre nichts mitbekommen haben. Oder hatte
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