Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Räuberbier

Räuberbier

Titel: Räuberbier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
bereits die skrupellose Nachbarin des Assistenzarztes geplaudert? Auch Jutta hatte Becker bemerkt, inklusive des Arztkittels, den er trug. Selbst sein Namensschild konnten wir gut lesen: ›D. Becker, A.R.Z.T.‹
    Becker, der uns ebenso bemerkte, zuckte zusammen. Er bekam sofort einen sichtbaren Schweißausbruch.
    »Ja, bitte?«, fragte die Schwester hinter der Theke bestimmt zum dritten Mal und ihr Ton wurde ärgerlich. Wir drehten uns zu ihr herum und Becker verschwand hinter der nächsten Tür. Na warte, dich schnapp ich mir später, dachte ich.
    »Palzki, Kriminalpolizei«, begrüßte ich die Schwester endgültig. »Das haben Sie bestimmt bereits auf der Karte gelesen. Wir möchten gerne Herrn Dr. Wutzelsbach sprechen.«
    »Ohne Anmeldung kann ich leider nichts für Sie tun. Prof. Dr. Wutzelsbach ist ein sehr beschäftigter Spezialist. Wollen Sie einen Termin? Das kann aber bis Ende Februar dauern.«
    »Frau Bauer«, ich hatte mich besonders angestrengt und ihr Namensschild entziffert. »Wir sind keine Patienten, sondern in dienstlicher Sache im Haus. Entweder wir bekommen jetzt sofort einen Termin beim Professor oder ich lasse ihn von einem Streifenwagen abholen.«
    Schwester Bauer reagierte gelassen, aber hilfsbereit. Sie telefonierte. Nach ein paar Sätzen unterbrach sie für eine Rückfrage: »In welcher Angelegenheit möchten Sie Prof. Dr. Wutzelsbach sprechen?«
    Ich sagte ihr, dass es um einen Mitarbeiter ging, sie nickte und telefonierte weiter. Nachdem sie aufgelegt hatte, forderte sie uns auf, ihr zu folgen. Sie führte uns in ein nahe gelegenes Besprechungszimmer, das eher zu einer Unternehmensberatung als zu einer Klinik passte. Auf dem Tisch standen Getränke und ein Teller mit Schokoladenplätzchen.
    »Der Herr Professor ist gleich für Sie zu sprechen, er muss nur noch einen Privatpatienten zu Ende betreuen.« Frau Bauer wischte ein paar Staubkörnchen vom Tisch und ließ uns allein.
    Jutta und ich nahmen in den modernen Schwingstühlen Platz. Nach dreimaligem Wippen war mir bereits hundeschlecht. Ich konzentrierte mich auf die Schokoplätzchen, die auf einer weihnachtlichen Serviette in einer Glasschale direkt in meinem Blickfeld lagen. Pawlow hatte vor 100 Jahren zu Recht seinen Nobelpreis erhalten. Äußere Reize steuerten das Verlangen des Körpers. Bei mir waren es zwar keine akustischen Reize wie bei Pawlows Versuchshunden, aber der optische Reiz war stark genug. Reflexartig prüfte ich, ob ich meine Notfallpackung Sodbrennentabletten dabei hatte, die Produktion des Verdauungssafts lief längst auf Hochtouren. Ein letzter Blick zur geschlossenen Tür und ich schnellte vor, schnappte mir eines der Schokostücke und warf es in den Mund. Das hätte ich besser sein lassen. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie Schlimmeres gegessen. Und dazu zähle ich auch den mir verhassten Rosenkohl und Grießbrei. Es war unmöglich, den Geschmack zu beschreiben. Ich kannte keine Referenzprodukte, die geschmacklich auch nur in die Nähe dieses ekligen Zeugs kamen. In hohem Bogen erbrach ich den schwarzen Brei in den Papierkorb neben der Tür. Jutta glotzte mich ungläubig an, als ich ein halbes Dutzend Mal in den Papierkorb spuckte, um auch die letzten Krümel loszuwerden. Kreidebleich setzte ich mich wieder in die Sitzgruppe, und im gleichen Moment öffnete sich die Tür.
    Ein junger Mann, höchstens Anfang 30, trat ein. Er war nicht nur jung, seine winzige Nickelbrille und seine kurzen Finger ließen ihn wie eine Hauptfigur aus ›Herr der Ringe‹ aussehen. Trotz allem wirkte er elegant und smart. Er nickte uns freundlich zu.
    »Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie hab warten lassen«, begann er die Konversation und gab Jutta und mir einen festen Händedruck. »Aber ich hatte gerade eine schwierige Patientin.«
    »Kein Problem, Herr Professor Dr. Wutzelsbach.«
    Er winkte ab. »Kein Professor bitte, ich bin nur promoviert.«
    »Das hat aber die Schwester gesagt«, wunderte ich mich.
    »Ich weiß«, antwortete Wutzelsbach. »Das hängt mit meinem Vorgänger zusammen, der, bis er die Klinik vor drei oder vier Monaten verließ, Chefarzt war. Er war tatsächlich Professor und das Personal hat sich halt daran gewöhnt. Mir macht es nichts aus, solange der Titel nicht offiziell benutzt wird. Und bei den Patienten kommt ein Prof immer gut an.«
    Jutta sah von ihrem Block auf, wie immer schrieb sie mit. »Ich bin etwas überrascht, einen so jungen Chefarzt vor mir zu haben. Muss man sich für diesen Posten

Weitere Kostenlose Bücher