Räuberbier
machen«, unterbrach mich meine Kollegin. »Ich hab ihn aus dem Urlaub zurückgeholt.«
»War das nötig, Frau Wagner? Hätte man das nicht einem Praktikanten übertragen können?«
»Nein, das geht nicht«, antwortete Jutta bestimmt. »Dafür benötigen wir eine ausgebildete Fachkraft. Wir können uns keinen Zeitverlust erlauben.«
»Einverstanden«, sagte Diefenbach nach reiflicher Überlegung. »Fangen Sie den Mörder. Wenn es geht, noch dieses Jahr, sonst sieht es in unserer Statistik blöd aus. Die geht ja immer vom 1.1. bis zum 31.12. Wenn Sie den Mörder erst im Januar schnappen, verfehlen wir dieses Jahr unsere hundertprozentige Aufklärungsquote. Und im nächsten Jahr klären wir wegen des Übertrags dann mehr Verbrechen auf, als es geben wird. Das glaubt uns dann kein Mensch.«
Puh, seine Sorgen hätte ich gerne. Wir versprachen unser Bestes und zogen uns in Juttas Büro zurück.
»Gerhard konnte ich leider bisher nicht erreichen«, sagte Jutta und nahm an ihrem Besprechungstisch Platz, der um Dimensionen kleiner war als der unseres Chefs.
»Der ist auch auf Bereitschaft, oder?«, fragte ich.
»Ne, du. Der hat offiziell Urlaub. Seine neueste Flamme, die Marianne«, sie überlegte einen Moment, »oder heißt sie Susanne? Na, ist ja auch egal. Jedenfalls hat diese ein schulpflichtiges Kind. Deshalb hat unser Kollege ausnahmsweise in den Schulferien Urlaub genommen.«
Das hatte mir mein Lieblingskollege Gerhard Steinbeißer vor Weihnachten, als ich ihn das letzte Mal sah, nicht verraten. Damals, also vor wenigen Tagen, war eine Katherina aktuell. Gerhard lebte trotz zurückweichenden Haarkranzes ein recht abwechslungsreiches Leben. Er genoss die Freiheit der relativen Ungebundenheit. Seine Lebensabschnittspartnerinnen wechselten öfters. Spätestens dann, wenn das Thema Kinder akut wurde. Und jetzt sollte genau dieser Gerhard eine Freundin mit schulpflichtigem Kind haben? Das konnte niemals gut gehen. Er hatte von Kindererziehung ungefähr so viel Ahnung wie eine Schnecke vom Fliegen. Allerdings musste ich fairerweise zugeben, dass auch ich mir erst im Laufe der Zeit das nötige Rüstzeug angeeignet hatte, um meine Kinder zu selbstständigen und selbstsicheren Personen zu erziehen, die in dieser harten und erbarmungslosen Welt überleben können. Nur meine Frau piesackte mich ab und zu damit, dass Erziehung nicht nur ausschließlich aus ungesunder Nahrungsaufnahme bestand.
»Vielleicht ist er in Urlaub gefahren?«
Jutta schüttelte ihre rote Mähne. »Das hätte er mir vorher gesagt. Ich glaube eher, dass er sich in irgendeinem Indoorspielplatz aufhält.« Sie lächelte bei dieser Vorstellung, und auch mir entschlüpfte ein halbgemeines Schmunzeln.
»Da seid ihr ja.« Jungkollege Jürgen, der seit Längerem seine um Jahre ältere Kollegin Jutta umschwärmte, trat ein. »Frohe Weihnachten allerseits.«
Wir erwiderten den Weihnachtsgruß, der mir inzwischen ziemlich auf den Senkel ging. Ich mochte es nicht, jährlich mehrere Tage lang von jedem Dahergelaufenen und nicht Dahergelaufenen frohe Weihnachten gewünscht zu bekommen. Und nach Silvester ging es mit anderen Wünschen weiter. Teilweise bis Ende Januar wurde man mit einem ›frohes Neues‹ oder aus Zeitmangel abgekürztes ›Frohes‹ begrüßt. Doch das alles war nichts gegen das depressiv und aggressiv machende ›Mahlzeit‹, das um die Mittagszeit als Belästigungsfloskel die Flure entlangschallte. Bei uns in der Kriminalinspektion hielt sich das zum Glück in Grenzen. Vor ein oder zwei Jahren musste ich mal einen Zeugen in der Kantine der Stadtverwaltung Ludwigshafen aufsuchen. Das Mahlzeit-Gesülze war mörderisch. Dass dort noch kein Beamter durchgedreht ist, wunderte mich. Mehr als einen Tag konnte man dies meiner Meinung nach nur unter Drogeneinfluss überstehen.
Jürgen setzte sich zu uns an den Tisch und packte eine Papiertüte aus. »Hab ich von meiner Mama bekommen«, meinte er freudig. Jürgen wohnte noch bei seiner Mutter, was das eine oder andere Mal für spöttische Kommentare sorgte. Wegen Weihnachten verzichtete ich ausnahmsweise großzügigerweise auf eine sarkastische Bemerkung.
Er öffnete die Tüte und eine mittlere Menge staubiges Buttergebäck kam zum Vorschein. »Das ist Diätgebäck. Hat meine Mama extra für mich gebacken, weil sie meinte, dass meine Unterhosen in letzter Zeit am Gummizug so eng wären.«
Jutta schaute schnell zu Boden, damit Jürgen ihr Gesicht nicht sah.
»Und was ist da drin?«, fragte ich
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