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Räuberbier

Räuberbier

Titel: Räuberbier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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allein, intuitiv und durch logische Kombination. Seit vor einigen Jahren seine Frau gestorben war, igelte er sich in seinem Labor noch mehr ein. Nur selten mischte er sich unter seine Mitmenschen. Er war ein seltsamer Knabe, aber ich mochte ihn. Schon als Kind hatte ich in seinen Labors gespielt und so manches überraschende Experiment mit ihm begleitet. Meine Eltern waren damals zwar nicht sonderlich begeistert, insbesondere wenn mal wieder eine farbige Wolke aus dem Schornstein seines Labors quoll, doch ich genoss die Zeit mit ihm. Jacques war mir auch ein guter Lehrer. Ich konnte mich gut an den unsichtbaren Lack erinnern, den er mir zusammenmischte. Damit rieb ich in einer Nachsitzstunde die Klassentafel ein. Der Erfolg war grandios: Nicht eine einzige Kreidespur blieb mehr an dieser Tafel haften. Die Lehrer verzweifelten und rätselten, die Lösung wussten sie bis heute nicht.
    Nach kurzem Klingeln öffnete sich die Tür. Jacques, wie immer im weißen Kittel und mit wirrem Haar, stand vor mir. Trotz seiner bescheidenen Körpergröße sah er irgendwie wie eine Mischung zwischen Einstein und Doktor Metzger aus. Dies war keineswegs abwertend gemeint, denn es war nur der Gedanke, der mir bei seinem Anblick stets zuerst in den Sinn kam.
    »Hallo, Reiner«, begrüßte er mich. »Lange nicht mehr gesehen. Komm rein.«
    »Ja sicher«, antwortete ich, »ist immerhin eine Woche her.« Ich trat in den Flur. So revolutionär und visionär seine Entdeckungen waren, so altbacken war sein Haus eingerichtet. Seit dem Tod seiner Frau schien alles unverändert. Die psychedelischen Blumentapeten aus der Woodstockzeit, das graue, wahrscheinlich einzige außerhalb von Museen existierende Wählscheibentelefon bis hin zu den Prilblumen auf dem Flurspiegel.
    Ich begann mit einem kleinen Smalltalk. »Was macht das Sodbrennenmittel?«
    Die Antwort interessierte mich mehr als brennend, und das war wörtlich zu nehmen. Jacques forschte in der Vorweihnachtszeit intensiv an einem Mittel, das einem sodbrennengeplagten Menschen dauerhaft von dieser Qual befreien sollte. Zum Teil war ihm das auch gelungen, zumindest, wenn man die Nebenwirkungen außer Acht ließe. Sie waren zwar ungefährlich, sorgten allerdings für eine gewisse soziale Ausgrenzung. Die von dem Mittel ausgehenden Abgase, die den Körper unbeeinflussbar mit entsprechender Geräuschkulisse verließen, waren für Humanoiden schlichtweg unerträglich.
    »Ich hab’s weggeworfen. Geh in die Apotheke und kauf dir eines.« Jacques klang betrübt.
    »Was ist los, alter Knabe?«
    »Was soll los sein? Ich realisiere Experimente mit atomarer Verschmelzung, ich kann die Photosynthese künstlich nachstellen, aber bei einem simplen Sodbrennenmittel versage ich.«
    Mein Freund würde doch im Alter nicht depressiv werden? Ich nahm mir vor, dieses Thema nicht mehr anzusprechen, und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Auch hier war die Ambivalenz zwischen altmodischem Wohnen und hochtechnologischen Apparaturen spürbar. Ein Nierentisch, auf dem ein Elektronenmikroskop und Schaltplatinen lagen, konnte man mit dem besten Willen nicht als einfachen Stilbruch abtun.
    »Such dir einen Platz«, forderte mich Jacques auf, was allerdings recht schwierig war. Sämtliche Sitzgelegenheiten waren mit allem Möglichen belegt. Ich sah einen Stuhl, auf dem lediglich ein braunes Paket lag. Gerade als ich im Begriff war, es hochzuheben, schrie Jacques auf.
    »Halt, lass das liegen, das ist gefährlich.«
    Ich zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück. »Was soll an einem Paket gefährlich sein?«, fragte ich, obwohl ich mir sicher war, dass es stimmte.
    »Der Inhalt, Reiner, der Inhalt. Du weißt ja, dass ich in letzter Zeit nicht mehr so oft aus dem Haus komme. Erst seit Kurzem, seit ich dir das eine oder andere Mal bei deinen Ermittlungen helfen konnte, komme ich mal wieder ans Tageslicht. Und da wir heute Silvester haben, habe ich mir eine besondere Überraschung ausgedacht.«
    Ich schielte auf das Paket. »Und die ist da drin?«
    Er nickte. »Ein Kompaktfeuerwerk. Einmal zünden und dann geht’s minutenlang rund.«
    »Oh, Jacques. Du solltest wirklich häufiger rausgehen. So etwas gibt es seit Jahren.«
    »Für wen hältst du mich? Mein Feuerwerk zündet mit Raketenantrieb in 2.000 Metern Höhe. Die Show wird fast eine halbe Stunde dauern und selbst in Frankfurt noch zu sehen sein. Gegen meine Feuerwerksbombe kannst du alles andere vergessen. Diese Nacht ist meine Nacht. In ein paar Stunden wirst du es

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