Räuberbier
sehen.«
Ich schluckte. »Ist das überhaupt erlaubt? Ich stelle mir das gefährlich vor.«
»Papperlapapp, ich passe schon auf. Ich zünde das Paket im Garten, da kann nichts passieren. Außerdem muss die Polizei ja nicht alles wissen.«
»Dann vergesse ich das am besten mal ganz schnell wieder. Könnten wir uns trotzdem irgendwo hinsetzen, wo es nicht so gefährlich ist?«
Er überlegte. »Dann gehen wir in die Küche. Da fällt mir ein, dort kannst du gleich etwas probieren.«
Probieren? Flucht oder nicht Flucht, das war hier die Frage. Widerwillig ging ich mit meinem Freund in die Küche. Für eine Junggesellenwohnung war sie überraschend gut aufgeräumt. Ich konnte kein schmutziges Geschirr ausmachen.
Jacques hatte meine Gedanken erraten. »Ich habe einen Ultraschallgeschirrspülautomaten erfunden. Der funktioniert ohne Wasser. Einfach das schmutzige Zeug einräumen und den Ultraschall aktivieren. In weniger als einer Minute ist alles keimfrei sauber. Stinkt zwar ein bisschen, spart aber immens Zeit.«
Tatsächlich fand sich auf der Eckbank ein kleines Plätzchen, das sich als Sitzgelegenheit anbot. Auf dem Tisch sah ich die kommende Katastrophe. Jacques zeigte auf die Schüssel.
»Probier mal mein Weihnachtsgebäck, Reiner. Auf dein Urteil bin ich sehr gespannt.«
Ich zögerte. »Hast du das selbst gemacht?«
»Na klar«, war seine Antwort, »mit den allerbesten Zutaten.«
Ich zögerte noch immer. »Keine giftigen Stoffe oder Unbekanntes?«
»Was ist mit dir los, Reiner? Hast du schlechte Erfahrungen gemacht? Du isst doch gerne Fastfood und süße Sachen. Los, leg los.«
Vertrauen hin, Vertrauen her. Was sollte ich nun tun? Meinem Selbsterhaltungstrieb gehorchen oder Laborratte spielen? Da ich Jacques aus gutem Grund bei Laune halten wollte, nahm ich mir mit spitzen Fingern ein Teilchen und steckte es, ohne es näher zu betrachten, in den Mund.
Mein Freund lächelte. »Und, schmeckt es?«
In der Tat, es war sehr bekömmlich. Ich hatte noch nie so gutes Gebäck gegessen. Die Konsistenz, der Geschmack, der Abgang im Rachen, alles war perfekt. Ich schnappte mir ein weiteres Teilchen mit gleichem Resultat.
»Kannst du mir das Rezept verraten?«, fragte ich mit vollem Mund.
»Das kannst du nicht nachmachen. Die Zutaten sind nur sehr schwierig erhältlich.«
Warum fiel mir augenblicklich wieder Kuhdung ein? »Verrat mir trotzdem, was drin ist«, bettelte ich.
»Das bringt dir nichts, Reiner. Glaub es mir.«
»Aber ich bitte dich. Ich kenne fast alle Grundnahrungsmittel beim Namen. Milch, Zucker und Mehl sind für mich keine Fremdwörter.«
Jacques kniff kurz die Lippen zusammen. »Solches Zeug kommt mir nicht in mein Weihnachtsgebäck.«
Ich ahnte Übles. Glücklicherweise waren die beiden Teilchen inzwischen in meinem Magen angekommen. »Sag’s mir.«
Er gab sich geschlagen. »Das Gebäck besteht zu 100 Prozent aus synthetischen Stoffen. Naturprodukte mit ihren schwankenden Qualitäten haben bei mir keine Chance, selbst wenn noch so oft Bio oder Öko draufsteht. Alles muss bei mir perfekt und vor allem gleichmäßig schmecken. Ich kann das Gebäck jederzeit reproduzieren. Ich stelle alles frisch in meinem Labor im Wohnzimmer her.«
Eine vorläufig noch leichte Übelkeit überkam mich. »Und das ist wirklich ungefährlich? Keine Nebenwirkungen?«
»Reiner, denkst du, ich würde dich etwas probieren lassen, was ich nicht für sicher erachte? Selbstverständlich habe ich das Gebäck selbst versucht. Lass es dir gesagt sein, es gibt keine kurzfristigen Nebenwirkungen. Ich bin gesund wie immer. Kein Ausschlag, keine Allergie, rein gar nichts.«
»Wie sieht es mit den langfristigen Nebenwirkungen aus? Vielleicht machen die Kekse impotent oder die Geschmackszellen werden abgebaut.«
Jacques zuckte mit den Achseln. »Alles kann man natürlich nicht ausschließen. Ein klitzekleines Restrisiko bleibt immer. Der Mensch ist ab seiner Geburt permanent in Lebensgefahr. Wenn wir beide nächste Weihnachten noch leben, werde ich das Gebäck offiziell auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen vertreiben. Den Erlös werde ich selbstverständlich für einen karitativen Zweck spenden.«
In den nächsten Minuten musste ich mich ausschließlich auf meine Magenschließmuskeln konzentrieren. Nur der Hinweis auf die karitative Stiftung bewahrte mich vor dem Wahnsinn. Aber Jacques hatte ja recht. Wie oft machte man in seinem Leben dumme Sachen und ging dabei ein beträchtliches Lebensrisiko ein. Ich selbst hatte
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