Räuberbier
»Die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit hier drinnen sind ideal für einen Weinkeller. Im Kleinformat habe ich so etwas auch zu Hause. Das tut insbesondere meinem 1967er-Chambolle gut.«
Ich schaute ihn bestürzt an. »Sie haben noch Chambolle? Mein Vorrat ist seit vier Wochen zu Ende. Seitdem trinke ich die Cola pur.«
Dummerweise verstand KPD diese ausnahmsweise gewollt proletarische Anspielung nicht. Dabei war ich mir nicht einmal sicher, ob Chambolle überhaupt ein Wein war.
Bei der anschließenden Verköstigung hatten wir den Kellereibesitzer fast in den erlösenden Freitod getrieben, als wir sämtliche Weine ausschließlich mit den Attributen sauer oder süß bewerteten. Als wir zum Abschluss der Veranstaltung in den Bus einstiegen, meinte er erschöpft und kopfschüttelnd: »Bei dieser Dienststelle ist Hopfen und Malz verloren.«
Einige Monate später, ich saß gerade mit meinem Lieblingskollegen Gerhard Steinbeißer im Büro von Jutta Wagner, polterte KPD zur Tür herein und setzte sich fluchend zu uns an den Besprechungstisch. Ohne Begrüßung legte er los.
»Stellen Sie sich vor, meine Herren!«, er blickte kurz zu Jutta, »und Frau Wagner«, ergänzte er. »Weil unsere Aufklärungsquote bei den Kapitalverbrechen 100 Prozent ist, will uns das Präsidium Stellen kürzen.« Er atmete schwer, während er zu der auf dem Tisch stehenden Kanne griff und sich Kaffee einschenkte. Das hätte er besser sein lassen.
Sein verschwitztes Gesicht war vor Empörung knallrot angelaufen. Zur Beruhigung nahm er einen kräftigen Schluck des zähflüssig wirkenden Getränkes. Das heißt, beruhigend war der Schluck nicht gerade. Der einsetzende Würgereiz verursachte eine explosive Entladung seines Gaumeninhaltes quer über den Besprechungstisch. KPD schnappte noch mehr nach Luft und schien beinahe zu platzen.
Man hätte ihn vielleicht vor dem Sekundentod warnen sollen. So nannten Gerhard und Jutta ihren selbst gebrauten Kaffee, der aus Kaffeebohnen und einer homöopathischen Dosis Wasser bestand.
»Tschuldigung«, murmelte Jutta verlegen, »er ist vielleicht etwas stark geworden.«
Unser Vorgesetzter starrte in die Tasse, deren Inhalt eine Konsistenz wie Altöl hatte. Gerhard hatte in der Zwischenzeit mit einem Stapel Servietten den Tisch notdürftig abgewischt.
Es dauerte zwei oder drei Minuten, bis sich unser Vorgesetzter wieder verbal äußern konnte. »Den Kaffee muss ich unbedingt meiner Frau mitbringen, die leidet unter niedrigem Blutdruck.«
Die Situation nutzend, schob ich ihm bereitwillig die Kanne hin. Dummerweise fiel dabei sein Blick auf ein paar Blätter, die auf dem Tisch lagen. Er griff danach und studierte die Zeilen.
»Was soll das?«, fragte er erstaunt und las vor. »Deutschland sucht das Superbier, wer hat den besten Geschmack? – Hat das etwas mit den aktuellen Ermittlungen zu tun?«
»Nein, nicht direkt, Herr Diefenbach«, wiegelte ich ab, während meine beiden Kollegen verschämt zu Boden schauten. »Im Moment liegt ja nichts an, kein Mord und so. Damit uns nicht langweilig wird, wollen wir an diesem Wettbewerb teilnehmen. Selbstverständlich nach Dienstschluss, wenn Sie darauf bestehen.«
KPD schien jetzt komplett verwirrt. »Welcher Wettbewerb? Reden Sie mal Klartext, Palzki!«
»Ja, also, Herr KP, äh, Herr Diefenbach, das ist so: Die Eichbaum-Brauerei in Mannheim sucht Menschen mit dem absoluten Geschmack. So wie es Menschen mit dem absoluten Gehör gibt, nur eben auf den Geschmack bezogen. Wer die meisten Biere blind erkennt, gewinnt.«
»Bier hat nur einen Einheitsgeschmack«, fiel mir KPD brüsk ins Wort. »Das Zeug schmeckt überall gleich.«
Im Hintergrund schlürften Gerhard und Jutta genüsslich ihren Sekundentod und warteten auf den Ausgang dieses Gesprächsduells.
»Da täuschen Sie sich, Herr Diefenbach«, begann ich mit der taktischen Vorarbeit. »Bei unserer Weinprobe haben Sie es selbst gesehen. Der Geschmack des Weines richtet sich allein nach der Traubensorte, den Rest besorgt das Wasser. Regenwasser. Mit all seinen Spurenelementen, die sich in unserem Industriekontinent in der Luft befinden. Das ist beim Bier anders: Das Wasser kommt aus mehreren 100 Metern tiefen Brunnen. Sauberer geht’s nimmer. Und statt ausschließlich auf Trauben wird beim Bier auf einen Rohstoffmix aus Getreide und Hopfen gesetzt. Von der Hefe ganz zu schweigen. Sie sehen, beim Bier gibt es viel mehr Variationsmöglichkeiten und die sorgen für einen vielfältigen Geschmack.«
KPD schwieg.
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