Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Drum und Dran! Und womöglich, das wurde Irene Heigelmoser mit furchterregender Klarheit bewusst, womöglich befand sie sich dazu noch in Lebensgefahr! Denn was sonst sollte hier anderes geschehen sein, als dass ihr ein brutaler Verbrecher beim Aufsperren der Hintertür mit einem harten Gegenstand auf den Kopf geschlagen, sie in den ersten Stock der Bank geschleift, gefesselt und geknebelt und unter dem Chefschreibtisch abgelegt hatte, und …
Irene Heigelmoser traute sich kaum, weiterzuspekulieren: Hatte der unbekannte Grobian sie während der Bewusstlosigkeit etwa auch vergewaltigt? Wie blöd war sie eigentlich, dass sie im aufreizenden Dirndl zum Putzen ging? Da war man ja praktisch Freiwild!
Aber natürlich hing die Wahl ihrer Bekleidung mit dem ursprünglichen Plan zusammen, direkt vom Putzen zum Rosstag zu gehen. Immerhin schien das Gewand, soweit die Heigelmoserin das in ihrem Zustand beurteilen konnte, in ordnungsgemäßem Zustand. Und wenn sie gedanklich ihren Unterleib absuchte – das hatte sie im Kurs »Autogenes Training für Einsteiger« in der Volkshochschule gelernt –, dann saß auch die bequeme Damenunterhose, oder wie man neuerdings sagt: High-Waist-Slip, noch am richtigen Ort. Abgesehen davon verspürte sie nichts, was zwischen den Beinen anders gewesen wäre als sonst. So, wie sich das anfühlte, hatte also niemand etwas zwischen ihren Schenkeln gemacht, was gegen ihren Willen gewesen wäre.
Dank dieses bei allem Unglück doch insgesamt positiven Resümees gelang Irene Heigelmoser noch ein wesentlich komplexerer Gedankengang: Wenn sie es sich recht überlegte, konnte seit ihrem Dienstantritt an der Bankhintertür noch gar nicht so viel Zeit verstrichen sein. Es musste noch Sonntag und damit Rosstag sein, denn wäre es bereits Montag, wären sicherlich schon der Filialleiter Ochsenknecht und die anderen Bankmitarbeiter sowie der eine oder andere Bankkunde aufgekreuzt. Da draußen schien aber niemand zu sein. Totenstill war es. Und nicht einmal von dem Verbrecher, der sie halb tot geschlagen hatte, war etwas zu hören, geschweige denn zu sehen. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Plötzlich verspürte Irene Heigelmoser ein mulmiges Gefühl im Bauch. Gerade so wie damals, als sie frisch verliebt mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann auf dem ausgesetzten Gipfel des Leonhardstein gestanden hatte und sie ihr Geliebter kurz mit der linken Hand geschubst und sofort mit der rechten wieder gehalten hatte. Obwohl Irene Heigelmoser damals mit Leib und Seele in ihren Zukünftigen vernarrt gewesen war, hatte sie diesen Augenblick als schreckliches Erlebnis in Erinnerung.
Um das unangenehme Gefühl loszuwerden, rollte sie sich auf die Seite und konzentrierte sich auf den Anblick des dunkelblauen Teppichs unter dem Schreibtisch. Eine ganze Weile studierte sie die merkwürdigen Flecken, die sie noch bei keinem einzigen Putzeinsatz hatte entfernen können, nicht einmal durch intensivstes Shampoonieren mit Spezialmitteln, als sie blitzartig ein Schreck durchfuhr: Im Türrahmen stand ein Mann, ein Fremder. Der Verbrecher.
Irene Heigelmoser begann, am ganzen Leib zu zittern. Das Blut stieg ihr in die Wangen, ihre Hände wurden schwitzig. Im Kopf wummerte der Schmerz. Sie hatte Angst. Was würde jetzt passieren?
Der Mann tat einen Schritt in den Raum hinein, und Irene Heigelmoser konnte sehen, dass er groß und schlank, aber noch sehr jung war, vielleicht Anfang zwanzig. Sein Gesicht war schmal, bartlos und blass. Irgendwie sah der Kerl überhaupt nicht wie ein Bankräuber aus. Und wie ein Vergewaltiger schon gar nicht.
Irene Heigelmoser war sich nicht sicher, ob es richtig war, sich direkt nach dieser Erkenntnis zu entspannen. Aber eine Putzfrau ist ja kein Roboter. Und deswegen macht ihr Körper mitunter, was er will. Und es wird schon seinen Sinn haben, dass das so ist. Denn dieser Kerl da sah einfach überhaupt nicht so aus wie einer, der ihr vor Kurzem einen Schlag auf den Kopf versetzt haben sollte, an dem sie auch hätte sterben können. Eher, dachte sich Irene Heigelmoser, eher sieht der aus wie einer der beiden Moderatoren von diesem Jungeleuteprogramm im Fernsehen, Schoko und Kas, oder wie die hießen.
Was ich mir nicht alles denke!, wunderte sich Irene Heigelmoser über ihr ratterndes Hirn. Dies aber nur etwa eine Sekunde lang, denn jetzt glaubte die Reinigungsfrau zu spüren, dass etwas Klebriges in ihren schwarz gefärbten Haaren hing. (Sie putzte zwar nur, aber immerhin an
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