RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
seinen Platz noch vor mir ein. Ich musste mich mit dem Handtuch abreiben und meine zwei Schlucke aus den Wasserflaschen trinken. Erst dann trottete ich an meinen Platz, um aufzuschlagen. Endlich schaffte ich einen guten ersten Aufschlag als Auftakt zu einem langen Ballwechsel, bei dem wir beide die Bälle hart und weit spielten – in seinem Fall schließlich ein wenig zu weit. Der Ball wurde als zu lang gewertet, aber er zweifelte die Entscheidung an. Die Aufzeichnung zeigte, dass der Linienrichter richtig entschieden hatte. Es war ein Moment der Verzweiflung bei Federer, aber ich verstand ihn. In einem so entscheidenden Augenblick hätte ich mich ebenso verhalten. Nun hatte ich einen Matchball bei seinem Aufschlag. Aber er reagierte wie der große Champion, der er nun mal ist, und drosch einen seiner unhaltbaren Aufschläge ins Feld.
Mehr aus Hoffnung als aus Erwartung schaute ich zum Schiedsrichter und legte für alle Fälle Widerspruch ein. Die Entscheidung fiel zu seinen Gunsten aus. Der Ball war genau auf der Linie gelandet. Es stand 7:7, und es folgte ein unglaublicher Punkt. Für mich. Nach einem langen zweiten Aufschlag von ihm spielten wir einige Bälle hin und her, bis er eine Vorhand weit und lang auf meine Vorhand schlug. Ich rannte hinter die Grundlinie, er lief ans Netz, und ich drosch einen niedrigen, geraden Passierschlag longline an ihm vorbei. Ein erstaunlicher Schlag.
Wieder hatte ich einen Matchball und hatte meine Nerven nun im Griff. Ich fand, dass ich es verdient hatte und unmittelbar vor meinem Wimbledon-Sieg stand. Dumm. Wirklich dumm. Es war einer der äußerst seltenen Momente meiner Karriere, in denen ich meinte, gewonnen zu haben, bevor ich tatsächlich gewonnen hatte. Meine Gefühle gingen mit mir durch, und ich vergaß die goldene Tennisregel, dass ein Match erst vorbei ist, wenn es vorbei ist.
Es stand 8:7, und ich hatte einen Matchball bei eigenem Aufschlag. Ich tat genau das, was ich zu tun hatte, und platzierte den Aufschlag weit auf seine Rückhand. Er returnierte mit einem kurzen Ball in die Platzmitte, und eben in diesem Moment, als ich zum Schlag ansetzte, erfüllte mich, noch bevor ich den Ball getroffen hatte, zum ersten Mal in meinem Leben die euphorische Freude, den Sieg in der Tasche zu haben. Ich drosch eine Vorhand in seine Rückhandecke und lief ans Netz in der Überzeugung, dass er den Ball nicht erreichen oder allenfalls einen schwachen Schlag schaffen würde, den ich leicht verwandeln könnte. Das tat er jedoch nicht. Stattdessen spielte er eine sensationelle Rückhand an der Seitenlinie entlang, und ich kam nicht einmal mehr in die Nähe des Balls. Diesen Ballwechsel habe ich im Geiste immer wieder durchgespielt. Er hat sich mir wie eine Videoaufzeichnung eingebrannt.
Was hätte ich anders machen können? Ich hätte den Ball härter und länger oder aber auf seine Vorhandseite spielen können. Allerdings glaube ich bis heute nicht, dass es richtig gewesen wäre, seine Vorhand anzuspielen. Denn wenn ich es getan und er mit einem Passierschlag geantwortet hätte oder den Ball returniert und ich ihn verpasst hätte, wäre ich am Boden zerstört gewesen, weil ich von meinem Plan abgegangen wäre, immer auf seine Rückhand zu spielen. Ich hätte sofort gewusst, dass dies die falsche Entscheidung gewesen war. Und das hätte mental verheerende Auswirkungen für mich gehabt. Wie die Dinge lagen, hatte ich mich richtig entschieden, auch wenn die Ausführung nicht so effektiv war, wie sie hätte sein können. Aber es war auch kein schlechter Schlag. Oft genug hatte er den Schlag darauf verpatzt. Um aber gerecht zu sein, muss ich zugeben, dass es wirklich ein fantastischer Schlag von ihm war, und das in einem Moment, in dem er unter unglaublichem Druck stand. Beim vorhergehenden Ballwechsel hatte ich meinen besten Schlag des Matchs gespielt, und er hatte umgehend mit seinem besten Schlag geantwortet. Erst später, als alles vorbei war, konnte ich darüber nachdenken, dass gerade solche Momente höchster Dramatik dieses Wimbledon-Finale zu etwas Besonderem gemacht hatten.
Dieser Gewinnschlag versetzte ihn in Hochstimmung. Beim nächsten Ballwechsel machte er mich fertig, spielte mit wütendem Selbstvertrauen und holte den Punkt mit einer cross geschlagenen Vorhand, die für mich unerreichbar war. Beim Stand von 9:8 im Tiebreak hatte er nun bei eigenem Aufschlag einen Satzball, aber sein erster Aufschlag war zu lang und löste bei weiten Teilen des Publikums ein äußerst
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