RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Open, für mich erreichbar wären. Wimbledon schon. Also schloss er sich meiner Überzeugung an, dass ich eines Tages die goldene Trophäe hochhalten würde.
Trotz des Selbstvertrauens, das ich nach außen zur Schau stellte, fehlte mir in Wahrheit der nötige Glaube an mich selbst, das Turnier zu gewinnen, als sich mir einen Monat später die Chance bot. Ich schaffte es zwar ins Wimbledon-Finale, aber Federer besiegte mich müheloser, als das Ergebnis von 6:0, 7:6, 6:7, 6:3 vermuten lässt.
Mittlerweile waren zwei Jahre vergangen, wir standen im Finale von 2008, ich lag mit 2:1 Sätzen in Führung und hatte Aufschlag. Von der spielerischen Qualität her war der vierte Satz vielleicht der beste dieses Finales. Wir waren beide auf der Höhe unseres Spiels, beendeten lange Ballwechsel mit einem Winner nach dem anderen und machten nur wenige Fehler. Ich lag immer ein Spiel in Führung, weil ich den ersten Aufschlag hatte und Federer jeweils seinen Aufschlag durchbringen musste, um überhaupt im Match zu bleiben. Aber das gelang ihm jedes Mal. Man behaupte nie, Federer sei kein Kämpfer.
Der Satz ging ins Tiebreak, und ich hatte den ersten Aufschlag. Die Zuschauer hatten mittlerweile jegliche Zurückhaltung aufgegeben, die eine Hälfte brüllte: »Roger! Roger!«, die andere Hälfte brüllte: »Rafa! Rafa!« Beim ersten Ballwechsel ging ich ausnahmsweise ans Netz und wurde sofort daran erinnert, weshalb ich das so selten tue. Federer antwortete mit einem mühelosen Passierschlag auf der Vorhandseite. Ein schlechter Start. Aber dann hatte ich einen erstaunlichen Lauf. Selbstbewusst und als Herr meines Spiels holte ich beide Punkte bei seinem Aufschlag. Anschließend schlug ich Federer mit seinen eigenen Waffen, servierte ein Ass, gefolgt von einem guten ersten Aufschlag, den er nicht returnieren konnte. Damit lag ich 4:1 in Führung. Wenn ich jetzt meine restlichen Aufschläge durchbrächte, wäre ich Wimbledon-Sieger. Noch wagte ich mir den Sieg nicht vorzustellen, obwohl meine Bälle durchweg gut kamen. Aber ich ballte nicht die Fäuste, wie ich es unter ähnlichen Umständen sonst tat. Ganz bewusst bemühte ich mich, so cool und fokussiert zu bleiben, wie ich nur konnte, den Eindruck zu erwecken, als hätte ich keine Nerven. Ich versuchte mich ständig zu ermahnen, dass ich es mit Federer zu tun hatte, einem Tennisspieler, der es besser als jeder andere verstand, aus dem Nichts noch etwas hervorzuzaubern.
Er hatte Aufschlag, und ich war entspannter, als ich es bei meinem nächsten Aufschlag sein würde, da mir bereits zwei Mini-Breaks gelungen waren und ich in Führung lag. Wenn ich ihm bei seinem Aufschlag noch einen Punkt abjagen könnte, wäre das ein unerwartetes Geschenk, auf das ich jedoch nicht angewiesen war. Ich stand nicht unter demselben Druck wie er, die nächsten beiden Punkte zu holen, und das verschaffte mir eine kurze Verschnaufpause bis zu meinem nächsten Aufschlag. Ich sagte mir: »Bleib bei deiner Spieltaktik, schlage weiter hohe Topspins auf seine Rückhand.« Aber beim nächsten Ballwechsel umlief er die Rückhand und holte den Punkt mit einer kraftvollen Vorhand entlang der Seitenlinie.
Beim Seitenwechsel lag ich 4:2 in Führung. Ich trank wie üblich je einen Schluck aus meinen beiden Wasserflaschen; er ging wieder auf den Platz. Ich sprang nach ihm auf und lief, um den Ball anzunehmen. Der nächste Ballwechsel war nervenaufreibend und lang, fünfzehn Schläge, die wir beide vorsichtig spielten, wobei ich den potenziell selbstmörderischen Drang unterdrückte, das Spiel mit einem Drive zu beenden. Schließlich verlor er als Erster die Nerven und schlug eine Rückhand weit ins Aus. Ich erlaubte mir einen kurzen Jubel: einen diskreten, beherrschten Punch in Zeitlupe. Nichts allzu Überschwängliches, nichts, was die Zuschauer auf dem Centre Court sehen konnten, aber innerlich kam ich nicht gegen das Gefühl an, dass ich ganz, ganz kurz vor dem Ziel war. Als ich mit einer Führung von 5:2 Aufschlag hatte, meinte ich, meinen Lebenstraum in Reichweite zu haben. Doch das sollte mein Untergang sein.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Adrenalin die Oberhand über meine Nervosität behalten; plötzlich aber übertrumpfte die Nervosität alles. Ich fühlte mich, als ob ich am Rand eines Abgrunds stünde. Als ich den Ball vor meinem ersten Aufschlag vom Boden hochschnellen ließ, dachte ich: »Wohin soll ich ihn schlagen? Soll ich mutig sein und auf seinen Körper zielen, ihn versuchen zu überraschen,
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