RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
obwohl ich mit dieser Eröffnung vor zwei Sätzen gescheitert war?« Ich hätte nicht so viel darüber nachdenken sollen. Ich hätte den Aufschlag weit auf seine Rückhand spielen sollen, wie ich es die ganze Zeit getan hatte. Aber ich schlug den Ball gerade, hart und zu weit. Jetzt war ich erst recht nervös. Ich hatte mich auf unbekanntes Terrain mit Gefühlen begeben, die ich so noch nie erlebt hatte. Als ich den Ball in die Luft warf, dachte ich: »Doppelfehlergefahr: vermassele es nicht.« Aber ich wusste, dass ich es vermasseln würde. Ich war so nah dran. Und prompt schlug ich den zweiten Aufschlag ins Netz. Meine Nervosität fraß mich auf. Aber sie erwuchs nicht aus der Angst zu verlieren, sondern aus der Angst heraus zu gewinnen. Ich wollte den Wimbledon-Sieg unbedingt, wünschte mir nichts sehnlicher, als dieses Match zu gewinnen, ein Moment, auf den ich fast mein ganzes Leben lang hingefiebert hatte: Das war die tiefere Wahrheit, die ich die ganze Zeit über geistig von mir wegschob, indem ich versuchte, mich in diesem Match auf einen Punkt nach dem anderen zu konzentrieren und weder zurück noch nach vorn zu schauen. Aber die Versuchung, nach vorn zu schauen, war zu groß; meine Aufregung knapp vor dem Sieg war so etwas wie Verrat für mich.
Die Angst zu gewinnen bedeutet, dass du zwar weißt, wie du zu spielen hast, dass aber Beine und Kopf nicht reagieren. Die Nerven ergreifen von ihnen Besitz, und du kannst nicht durchhalten. Angst vor einer Niederlage war es nicht, denn in keiner Phase des Matchs hatte ich das Gefühl, nicht gewinnen zu können. Ich verlor nie den Mut. Von Anfang bis Ende hatte ich vielmehr das Gefühl, eine Niederlage nicht zu verdienen, alles richtig zu machen und mich vor dem Match bestmöglich vorbereitet zu haben.
Aber als ich beim Stand von 5:3 zum nächsten Aufschlag ansetzte, war diese Überzeugung verschwunden. Ich verlor den Mut. Denn statt weiterzuspielen und den Rückschlag durch meinen Doppelfehler sofort aus meinem Kopf zu verbannen, ließ ich mich beim nächsten Aufschlag davon beirren. Ich dachte: »Ganz gleich, was du machst, sieh zu, dass der erste Aufschlag sitzt. Riskiere ja keinen zweiten Doppelfehler. Bring den ersten Aufschlag irgendwie rein.« Und das tat ich, aber es war ein schwacher Aufschlag, ein vorsichtiger zweiter Aufschlag, der sich als erster Aufschlag ausgab, ein feiger Aufschlag. Ja, das ist genau das richtige Wort. Es war ein Moment der Feigheit. Und er erlaubte Federer sofort, zum Angriff überzugehen. Sein Return kam tief, ich reagierte mit einem kurzen Schlag, er schlug wieder tief und ich versagte – kläglich – bei meiner Rückhand und schlug den Ball lahm ins Netz. Es war durchaus kein Ball, der unmöglich zu schaffen war; neun von zehn Mal hätte ich keinerlei Probleme damit. Ich hätte ihn vielleicht sogar in einen Winner verwandeln können. Aber mein Arm war verspannt, ich war aus dem Rhythmus geraten, mein Körper war nicht in Position. Statt mich voller Überzeugung in den Schlag zu stürzen, hatten sich meine Beine vor lauter Nervosität verhaspelt.
Damit stand es 5:4, und er hatte Aufschlag. Nun lag die Initiative bei Federer. Er spielte einen hervorragenden ersten Aufschlag weit auf meine Vorhand. Ich drosch den Ball kurz zurück, und er landete einen Winner. Ich dachte: »Ich habe es vermasselt. Aber es steht 5:5, ich bin immer noch im Tiebreak. Wenn ich einen Punkt mache, diesen Punkt, habe ich einen Matchball, um Wimbledon-Champion zu werden. Ich denke zwar: ›Was für ein Schlamassel, aber diesen Punkt werde ich versuchen‹.« Aber er drosch einen weiteren großartigen Aufschlag, und ich war beinahe erledigt. Jetzt hatte er einen Satzball und ich Aufschlag. Plötzlich war ich nicht mehr so nervös wie vorher; nicht mehr so ängstlich, einen Doppelfehler zu machen. Ich war vom Abgrund weggerückt. Die Angst zu gewinnen war verschwunden, und ich fand mich in einer Lage wieder, die zwar weniger komfortabel war, an die ich aber gewöhnt war: Ich musste um den Satz kämpfen. Mein erster Aufschlag ging ins Netz, aber nun dachte ich nicht mehr an einen Doppelfehler. Ich brachte einen ordentlichen zweiten Aufschlag zustande, und es entspann sich ein langer Ballwechsel, bei dem ich ständig auf seine Rückhand hielt. Als ich den Ball weit auf seine Vorhand, aber ein bisschen zu kurz spielte, bekam er seine Chance. Er versuchte einen Drive als Winner, der aber zu lang geriet.
Wieder wechselten wir die Seiten. Wie immer nahm Federer
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