RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Vandalen, die Mauren, die Spanier und mit dem Tourismusboom, der vor 50 Jahren einsetzte, die Briten und Deutschen – »Barbaren aus dem Norden«, wie der Volksmund sie nennt –, von denen viele geblieben sind und die malerischeren Inselregionen kolonisiert haben. (Mallorca hat etwa 800 000 Einwohner, alljährlich schaffen aber 12 Millionen Touristen vorübergehend eine Parallelwelt.)
Zudem plünderten Piraten regelmäßig Mallorcas Küsten. Das mag erklären, warum es bis Mitte des vorigen Jahrhunderts durchaus nichts Ungewöhnliches war, auf Mallorquiner aus dem Inselinneren zu treffen, die im Traum nicht daran dachten, sich je in Küstennähe zu begeben, die das Meer noch nie gesehen hatten oder fragten: »Was ist größer, Mallorca oder das, was jenseits von Mallorca liegt?« Ihre traditionelle Reaktion auf das unvermeidliche Zusammenleben mit fremden Besatzern bestand in einer ruhigen, vorsichtigen Passivität.
Sebastián Nadal, der diesen Eindruck nicht bestreitet, empfiehlt Außenstehenden, die die Kultur seiner Heimat verstehen möchten, ein Büchlein, das bei Einheimischen und Besuchern gleichermaßen beliebt ist: Dear Mallorcans. Es bestätigt allenfalls die Vorstellungen, die andere Spanier über die Inselbewohner hegen, und beschreibt sie als »phlegmatisch« und »immer bereit zuzuhören, aber nicht immer, zu reden«. Das entspricht durchaus dem Charakter Sebastián Nadals und seines Sohnes, passt aber nicht zum gesprächigen Toni, was vielleicht erklärt, weshalb er in seiner Familie ein bisschen als Außenseiter gilt.
Wenn Rafa Nadal die Tenniswelt erobert und sich weltweit einen Namen gemacht hat, so liegt es daran, dass er wie Toni in einigen wesentlichen Aspekten nicht dem Klischee der Inselbewohner entspricht. In Dear Mallorcans heißt es: »Auf Mallorca streben die Menschen eher in der Freude am Leben als in der Arbeit nach Erfolg und haben einen Zeitbegriff, der stärker an Freuden des Nichtstuns als an die materiellen Ergebnisse von Leistung geknüpft ist.« Mit seiner ungewöhnlichen protestantischen Ethik hat Rafa Nadal mehr mit den deutschen Kolonisten der jüngsten Zeit gemeinsam als mit den alteingesessenen Mallorquinern. Carlos Moyá, der ebenfalls von Mallorca stammt und Tennis-Champion war, aber nach eigenem Bekunden erheblich weniger Ehrgeiz besitzt als Nadal, erklärt, dass Rafas und Tonis Siegeshunger nichts mit dem mallorquinischen Charakter zu tun hat, den er als »entspannt, fast karibisch« bezeichnet.
Jenseits vom Tennis besitzt jedoch auch Rafa Nadal die seltsam lässige Einstellung zur Zeit, die die Mallorquiner laut dieser Mallorca-Bibel auszeichnet. Er ist eigentlich nicht pünktlich, und wenn er sich in seiner Heimat mit seinen Freunden amüsiert, hat er keinerlei Probleme damit, bis fünf Uhr morgens in Clubs zu feiern. Im Unterschied zu seinen Freunden steht er jedoch entgegen allen Gepflogenheiten der Inselbewohner vier Stunden später wieder auf und geht zum Training auf den Tennisplatz. Wenn der Sport ruft, dem er sein Leben gewidmet hat, hört er auf, ein hedonistischer Sohn des Mittelmeers zu sein und wird zu einem Vorbild an disziplinierter Selbstverleugnung.
Seine mallorquinischen Landsleute achten ihn für den besonderen Weg, den er eingeschlagen hat, und für den Erfolg, der auch auf die Insel zurückfällt, aber sie weigern sich, beeindruckt zu sein. »Mallorca ist kein Ort, der allzu viele Helden hervorbringt«, heißt es in Dear Mallorcans, »und diejenigen, die die Insel hervorbringt, werden nicht im Geringsten gefeiert.« Eben diese Tatsache macht Manacor zum einzigen Ort auf der Welt, an dem Rafa Nadal am helllichten Tag über die Straße schlendern oder in dem sicheren Wissen in ein Geschäft gehen kann, dass niemand ihn um ein Autogramm oder ein Foto bitten wird und sich auf der Straße keine Fremden um ihn scharen. Sich in irgendeiner Form aufzuspielen stößt auf Stirnrunzeln (»Was glaubt er denn, wer er ist?«, wäre die Reaktion, wenn Rafas Erfolg ihn dazu gebracht hätte, sein Auftreten zu verändern), und aus demselben Grund gilt es als geschmacklos, jemanden mit Lob zu überschütten, so verdient es auch sein mag. Noch einmal Dear Mallorcans: »Jedem, der den Kopf über den Rest zu erheben versucht, wird er umgehend abgeschlagen.« Wenn Nadal nicht Tennis spielt, hat er keinerlei Verlangen, sich über den Rest zu erheben – ganz im Gegenteil. Deshalb ist Mallorca der einzige Ort, an dem er völlig abschalten kann, wie seine Mutter Ana
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